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Dienstag, 31. Januar 2017

Bedrückt



Wenn man eingeladen wird, sollte man sich eigentlich drüber freuen, doch so eine Einladung kann schnell zur Qual mutieren. Da ich bei jedem Wetter gern spazieren gehe, treffe ich immer mal Bekannte, so auch letztens, als mich eine ehemalige Nachbarin, die es sich durch Umzug verbessern konnte, spontan zu sich in die neu eingerichtete Wohnung einlud. Vor Jahren war ich ja schon bei ihr und bewunderte nun wieder die neuen Möbel, Vorhänge und Teppiche, über die sie selbst manchmal stolperte wie der Diener von Miss Sophie im Sketch Dinner for One. „Und, was machst du so?“ fragte sie, während sie in der offenen Küche am Kaffeekochen war.
„Ha, du wirst es nicht glauben, aber mir gelang eine Super-Provokation. Ich hab für einen Wettbewerb in ICH-Form einen Irren beschrieben, der seinen ausländischen Nachbarn umbringen will und tatsächlich war ich so überzeugend, dass ich jetzt als fremdenfeindlich und menschenverachtend dastehe und wahrscheinlich bald von Hatern verfolgt und vielleicht selber umgebracht werde.“ berichtete ich aufgeregt.
„Das ist schön!“ sagte sie, was mir verriet, dass sie mir gar nicht zugehört hatte.
„Hätte ich über einen Mord zwischen Inländern geschrieben, hätte keiner auch nur ein Ohrwaschel gerührt.“ setzte ich fort, obwohl ich wusste, dass sie sich schon aus dem Gespräch ausgeklinkt hatte.
„Jaja!“ sagte sie automatisch als sie mit dem Tablett reinkam - und ich fürchtete schon, sie würde über den neuen Teppich fallen, doch sie kriegte die Kurve und reichte mir ein Häferl Kaffee und ein Stück Torte. „Selbst gemacht!“
„Super, ich hab eh scho Hunger!“ verkündete ich und kostete die Torte.
„Na, ist die neue Einrichtung nicht ganz formidable?“ fragte sie.
„JA-köch!“ sagte ich mit vollem Mund und würgte. Ich liiiebe ja Torten, allerdings nicht, wenn sie mit Karotten gemacht wurden.
„Das Rezept fürn Karottenkuchen hab i aus der Zeitung. Der schmeckt prima!“ lobte sie sich selber.
Mit gezwungenem Lächeln nickte ich und mir fiel die eine Folge von der BBC-Sitcom One foot in the grave ein, wo die Protagonisten den Karottenkuchen der Mutter des Nachbarn als Türstopper nutzten, und diesen schnell in den Mülleimer entsorgen, als er an ihre Tür klopft.
Sie erzählte mir ihre Lebensgeschichte, die ich ja bereits kannte, und ich überlegte, was ich tun könnte, um dem Genuss der K-Torte zu entgehen. Dass ich bereits satt war, konnte ich nicht sagen, nachdem ich vollmundig verkündet hatte, Hunger zu haben. Da bemerkte ich, wie sich hinter ihr eine fette Tigerkatze näherte. „Jööö, du hast ein Katzerl?“
Schwungvoll drehte sie den Kopf und sagte: „Ja, des is der Muffin ausm Tierheim.“ Dabei sah sie ihn ganz verliebt an und ich griff ein großes Stück der Torte und ließ es rasch unter den Tisch gleiten, hoffend, dass die fette Katze sich diskret meines Problems annehmen würde. „Mit der muss i net Gassi-Gehen so wie früher mit mein toten Hund!“
„Lieb! Und was hat die schöne Einrichtung eigentlich gekostet?“ lenkte ich sie ab, damit sie nicht bemerkte, dass ich unmöglich so viel von ihrem Backwerk im Nu in mich reingestopft haben kann.
„Puhhh! Das kann i dir gar net sagen, weil mein Sohn so einiges selber gemacht hat. Summasummarum circa 1.500 €. - Oh, du bist schon fast fertig, willst no a Stück?“
„Na, vielen Dank, des war so sättigend!“ lehnte ich ab und spülte den Rest der Torte mit dem Kaffee runter, worauf sie abservierte.
Muffin kam unterm Tisch hervor, ich sah nach, ob sie alles verspeist hatte und erschrak: der Klumpen Karottentorte lag unberührt noch da. Was tun? Schon kam sie zurück und bereicherte ihre Lebensgeschichte mit einigen Anekdoten. Bedrückt hörte ich zu und überlegte mir schon eine Ausrede, falls sie meine Schandtat merkte (Ui, da muss mir was von der Gabel gerutscht sein!).
„Hast du vielleicht einen Magenbitter?“ fragte ich und sie bejahte, stand auf und ging wieder in die Küche. „Danke! Ich mach ein bisserl das Fenster auf!“
Während sie also im neuen Küchenkastel rumsuchte, packte ich blitzschnell den Klumpen und eilte zum Fenster, um ihn rauszuwerfen und erlitt den nächsten Schock: Katzengitter! Da stand ich nun ziemlich blöd mit einer Handvoll staubtrockener Karottenmehlspeis, die ich in höchster Not unter mein Flanellhemd in den Hosenbund stopfte.
Nach einer halben Stunde verabschiedete ich mich und schritt bedrückt heim. Warum hab ich nicht einfach gesagt: Tut mir leid, aber dein Kuchen schmeckt mir nicht! - Das wäre auch angesichts ihrer Unaufmerksamkeit gegenüber meiner Geschichte angebracht gewesen. Aber ich bin einfach zu gut für diese Welt…
Wer auch so genervt von seinen Zeitgenossen ist, der kann sich mit meinen Büchern ablenken.

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