Ich kann nur alle davor warnen, jemanden belehren zu wollen, der grade auf‘m Selbstfindungstrip ist. Ein Freund – oder mehr ein alter Bekannter von mir, hatte voriges Jahr die fixe Idee, im Ausland sein Glück zu versuchen. Auf Biegen und Brechen. Er trug sich mit dem Gedanken, seine Wohnung aufzulösen und demnächst mit Sack und Pack abzureisen. Er hatte ein Geschäftskonzept ausgeknobelt, das sich zwar vielversprechend anhörte, in der Praxis jedoch auf kommende gewaltige Schwierigkeiten schließen ließ. Also riet ich ihm eindringlich: „Lass die Finger davon, ehe du sie dir verbrennst! Dir geht’s doch gut, wozu willst du so viel Risiko eingehen? Die nächste Krise kommt bestimmt!“
Schon prasselte ein Riesen-Wort-Stakkato auf mich ein: „Wie kann man nur so pessimistisch denken! Total fortschrittsfeindlich. In der Geschichte ist nie etwas Großes ohne Risiko gelungen!“
Worauf ich erwiderte: „Die Geschichte ist voll von Desastern, die von Leuten mit deinen Gedankengängen verursacht wurden.“ Es kam zum Streit und ich hörte nichts mehr von ihm. Bis gestern. Da spazierte ich bei der Gruft vorbei, einem Obdachlosenasyl unter einer Kirche. Und wer saß gedankenverloren vorm Eingang, einen dreckigen Rucksack vor sich und ausgelatschte schlammige Wanderschuhe, die eine Nummer zu groß schienen, an den ausgestreckten, scheinbar wunden Füßen? Richtig! Der ehemalige Risikofreund, der sich fern der Heimat das große Glück erhoffte. Nun wolle ich schon hingehen und ihn mit den Worten begrüßen: ‚Ich hab’s dir ja gleich gesagt.‘ – Allerdings hätte ich damit nur wieder unfreundliche Worte geerntet, also wollte ich mich klammheimlich davonmachen. Schon glaubte ich mich in Sicherheit, als mir urplötzlich ein unangenehmer Geruch von Schweiß und Dreck in die Nase stieg und mich eine bleiche Hand an der Schulter berührte. (Nein, nicht die vom Sensenmann!)
„Wie geht’s denn, altes Haus?“ erkundigte er sich grinsend.
„Besser als dir!“ entschlüpfte mir spontan. Seine Duftmarke war ihm vorausgeeilt und ich wusste ja schon, bevor er mich berührte, dass er mir nachgelaufen war. „Das mit meiner Geschäftsidee ist leider in die Hose gegangen!“ gab er zu und ich schmunzelte ob des Wortspiels, das zum leichten Urin-Duft passte, welcher ihm ebenfalls anhaftete. „Aber ich habe so viele wertvolle Einsichten gewonnen, die mir daheim ewig verborgen geblieben wären.“
„Toll! Die musst du jetzt nur noch in klingende Münze verwandeln.“ Schlug ich vor.
„Ja genau das hab ich vor! Und da kommst du ins Spiel!“ Mir schwante Fürchterliches! „Ich gedenke ein Buch über mein Desaster zu schreiben bzw. dir zu diktieren. Dafür biete ich dir die Hälfte der Tantiemen! Im Gegenzug zieh ich bei dir ein!“
Mir schwanden fast die Sinne bei solchen Aussichten. „Oje, ich muss dein großzügiges Angebot leider ablehnen, schweren Herzens, denn ich hab die Handwerker im Haus wegen eines Wasserrohrbruches!“ log ich in höchster Not. „Und außerdem leide ich unter einer Schreibblockade. Es ist ganz schrecklich! Ich kann nicht mal eine eMail verfassen.“ Das war ziemlich gemein von mir, jedoch reiner Selbstschutz, hatte ich den erstmal im Genick, war ich verloren. Der würde mich in kürzester Zeit zum Wahnsinn treiben und mir tatsächlich eine Schreibblockade verursachen. „Das ist aber schade…“ stammelte er und tat mir nun etwas leid. Doch glücklicherweise hatte ich noch die Visitenkarte eines eingebildeten Journalisten, der behauptete, er könne aus einer kurzen Notiz über einen Fahrradunfall in einem Käseblatt sofort eine Top-Story über ein ganzes Katastrophenszenario in einem Hochglanzmagazin mit Bestseller-Potential machen. „Kopf hoch, mein Lieber!“ munterte ich den gescheiterten mittellosen Heimkehrer also auf und steckte ihm die Karte zu. „Hier hast du die Adresse eines Profis, der aus dir den Knüller seiner Zeitung macht und in weiterer Folge einen Abenteuerroman-Co-Autor. Du brauchst mit deinen Erzählungen nicht zu übertreiben, das hat er selber voll drauf, der macht aus jeder Mücke ein Mammut, nur ihm ein wenig Honig ums Maul schmieren. Aber biete ihm nicht gleich die Hälfte der Tantiemen an, sondern nur höchstens 10 %. Dann beißt der Trot-äh-todsicher an!“
„Oooh, danke!“ sagte der arme Sandler und eilte mit der Karte davon. Es sollte mich nicht wundern, wenn nächstes Jahr ein Buch erscheint, dessen Anti-Helden ich gut kenne….
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