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Freitag, 28. September 2012

Random


…by random = engl. für zufällig. Heute fand ich einen Würfel, der mit der Augenzahl 6 vor mir auf dem Gehweg lag, als warte er auf jemanden, der ihn aufhob, um mit ihm zu spielen, etwa Mensch-ärgere-dich-nicht oder Knobeln, falls ein Becher zur Hand ist. So erbarmte ich mich seiner und plötzlich, kaum, dass ich ihn in der Hand hatte, fiel mir ein ehemaliger Freund ein. Dieser, nennen wir ihn aus Datenschutzgründen X, war seinerzeit ein schwerer Zwangsneurotiker. Nicht nur, dass er unter einem Zwang litt, sein erlebtes Unrecht aus Kinderzeit lauthals herauszuschreien, und dafür eine Zwangsdelogierung von den verständnislosen Nachbarn erhielt, konnte sich auch einer latenten Angst verfolgt zu werden, nicht erwehren. Auf die Frage, wer denn hinter ihm her sein, verdrehte er stets nur die Augen, als hörten die unsichtbaren Stalker mit. Nach einiger Zeit fasste er dennoch Vertrauen zu mir und gestand mir flüsternd, dass es Impulse aus dem All sein mussten, die ihm das Leben schwer machten. Aufgrund des Studiums einiger Bücher zum großen Thema ‚Außerirdische Umtriebe‘ kam er zur traurigen Erkenntnis, dass jemand oder etwas tief draußen im Weltall unser Leben kontrollierte oder es zumindest versuchte. Dazu war natürlich das Wissen um unsere Gedanken und Zukunftspläne erforderlich. Doch wer von weit her unseren Erdball und dessen Bewohner erkennen konnte, so schloss er messerscharf, der würde auch mit dem Durchforsten unserer kleinen Gehirne und deren Manipulation keine Schwierigkeiten haben. So kam er nach einiger Überlegung zum Schluss, dass die einzige Möglichkeit, sich diesem Dilemma zu entziehen, nur der Zufall sei. Das hieß, dass er wichtige Entscheidungen stets einem Würfel anvertraute. Er stellte also eine Liste mit seinen Wahlmöglichkeiten auf, nummerierte sie von eins bis sechs und ließ dem Zufall über den Umweg eines simplen Würfels die Entscheidungsgewalt über seine Handlung. Z.B. die Wahl des Urlaubszieles. Dazu nahm er zusätzlich noch seine Dartpfeile zu Hilfe. Er warf aus einiger Entfernung sechs Pfeile auf eine an die Wand geheftete Weltkarte, schrieb die erworfenen Destinationen von eins bis sechs auf ein Blatt Papier und erwürfelte dann sein endgültiges Ziel. So kam er von ungewöhnlichen Urlaubszielen wie der Antarktis bis zu ganz gewöhnlichen Allerwelts-Stränden wie Jesolo. Nun überlegte ich aber und kam zum deprimierenden Ergebnis, dass, wenn es die Außerirdischen gäbe und sie Macht über uns hätten, es für sie doch ein Leichtes wäre, auch die Dartpfeile und letztendlich sogar den Fall eines Würfels so manipulieren zu können, dass das Ergebnis in ihrem Sinne sei. (Warum es für die da draußen überhaupt von Interesse sein könnte, zu bestimmen, wo ein psychisch gestörter armer Narr seinen Urlaub verbringt, ließ ich offen, denn ich fand nach einer schlaflosen Nacht auch keinen plausiblen Grund dafür.) Nun hatte ich also nichts Eiligeres zu tun, als um 5 Uhr früh X anzurufen und ihm meine Überlegung brühwarm mitzuteilen. Kurze hörbare Stille am anderen Ende der Leitung, dann das ‚tüt-tüt-tüt‘, welches mir verriet, dass er aufgelegt haben musste. Als ich 2 Stunden später besorgt bei ihm vorbeisehen wollte (er hatte inzwischen zur Freude der neuen Nachbarn eine schalldichte Wohnung im 3. Stock eines Altbaus ergattert), konnte ich live miterleben, wie er in einer Zwangsjacke 'Hilfe!'brüllend, unsanft in einen Krankenwagen eingeladen wurde. Unter seinem Fenster lagen einige kaputte Möbelstücke aus seiner Wohnung und sonstiger Hausrat verstreut, die er offensichtlich in höchster Erregung aus dem Fenster geworfen hatte. Sein Computer hatte den Absturz leider nicht überlebt, aber einige Dinge waren doch noch heil geblieben und erwiesen sich für mich als ganz brauchbar: Bücher, Lederjacken, neue Bettwäsche, sein Portemonnaie, usw. - Das alles fiel mir ein, als ich den einsamen Würfel aufhob und in meiner geschlossenen Hand ein wenig rotieren ließ….

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