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Freitag, 9. November 2012

Expertenmeinung

Ein Kosmetikkonzern hat eine Haar-Erweckungskur erfunden. Toll, aber was wir wirklich brauchen, ist eine Hirn-Erweckungskur für einige Mitbürger, deren Oberstübchen dringend eine chemische Auffrischung stillgelegter grauer Zellen benötigt. Ein Beispiel: Der Sohn unseres ehemaligen Hausmeisters traf mich einstmals leider unvorhergesehen, denn sonst wäre ich sofort auf die andre Straßenseite geflüchtet. Er sah aus wie Micky Rourke nach seiner ersten missglückten Schönheits-OP und sprach mich auf mein erstes, in einer Literatur-Zeitschrift veröffentlichtes Werk an. (Ich wusste gar nicht, dass der überhaupt lesen kann.) Mit überheblicher Pseudo-Experten-Miene meinte er recht hölzern: „Grundsätzlich muss gesagt werden, dass manche Geschichte und Erzählung einzig und allein die Autoren betreffen, diese hört man hierin klagen oder sie stellen ihre Welt dar, die niemand interessiert. Hiervon sollte sich jeder Autor hüten. Der erhobene Zeigefinger in Erzählungen ist ebenso unangebracht, wie das ständige Seufzen über das Erlittene in der eigenen Situation. Erzählungen sollten losgelöst vom Autor sein, damit er objektiv vermitteln kann.“
„Ach was!“ entgegnete ich. „Aber Thomas Bernhard hat sein ganzes Oeuvre genau auf diese Weise zu ungeahntem Ruhm gebracht!“
„Tja, aber DU bist halt nicht der gute Thommy Bernhard!“ grinste er blöd.
Das war vor einigen Jahren und ich hatte es fast vergessen, aber kürzlich lief mir der Affe doch glatt wieder über’n Weg - nun sieht er aus wie Micky Rourke nach der dritten misslungenen Schönheits-OP, und sprach mich neuerlich unerlaubt an: „Ich hab mir dein Buch ‚Soziopathen sterben selten‘ aus der Bibliothek ausgeborgt.“
„Ein Jammer, dass es auf diese Weise erhältlich ist.“ haderte ich mit dem Schicksal der meisten armen Autoren. „Und du hast natürlich was dran auszusetzen?“
„Und du willst Kritik natürlich nicht hören?“
„Nur wenn sie berechtigt ist. Marlene Streeruwitz bezeichnete sich kürzlich im TV als Buchstaben-Aneinander-Reiherin in Heimarbeit. Ich bezeichne mich als Buchstaben-die-auch-Sinn-ergeben-Aneinander-Reiher!“ stellte ich in sachlichem Ton fest.
„Jaja, Sinn ergibt ja, was du schreibst, aber es ist halt so unglaubwürdig, dass ein Journalist einen Erfinder trifft, der eine Zeitmaschine erfunden hat.“ dozierte er und bezog sich dabei auf die Story ‚Apparat auf Abwegen‘.
„Da hast du was überlesen, der Erfinder glaubt ja nur, er hätte eine Zeitmaschine erfunden. Tatsächlich ist es ein Zerstörungs-Apparat!“ erklärte ich geduldig. „Doch in einigen meiner Geschichten liegt die Aussage zwischen den Zeilen und entgeht oberflächlichen Leuten.“ PAFF! Das hatte gesessen. Der Hausmeisterboy stutzte kurz.
„Tatsächlich kann es sowas aber gar nicht geben!“ beharrte er uneinsichtig.
„Tatsächlich gibt es auch keinen Zauberlehrling, und doch hat eine Engländerin mit diesen kitschigen Klischees des Zauberstab-schwingenden Besenreiters Millionen gescheffelt!“ Oh, wie ich mir wünschte, einen derartigen Molekül-Zerbröselungs-Apparat zu besitzen und ihn damit zur Hölle zu schicken! Sowohl den Hausmeistersohn als auch den Zauberlehrling samt seiner Schöpferin. „Und die andern Stories?“
„Die sind so lala!“ bekrittelte er und zog eine Grimasse. Das hieß, er verzog seine Masken-Visage.
„Was machst Du eigentlich so? Außer lesen?“ erkundigte ich mich interessiert und dachte: wahrscheinlich nur andern den Nerv töten.
„Naja, dies und das, aber am liebsten bin ich in meiner Funktion als Kulturbeauftragter der Stadt Wien unterwegs.“ berichtete er stolz wie ein Pfau und ließ mich mit herunter geklappter Kinnlade auf der Straße hinter sich.

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