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Montag, 20. August 2012

Gedächtnis in Nöten

Ein Vortrag führte mir kürzlich vor Augen, wie leicht es manchmal ist, einem gebildeten Eierkopf seine Grenzen aufzuzeigen. Es ging um die Steigerungsmöglichkeiten der Gedächtnisleistung und jener Nerd, der sie uns verklickern wollte, rühmte sich, er könne sich 25 Worte, die ihm einer nach dem andern aus dem Publikum zuruft, ganz leicht merken und nachher fehlerfrei wiederholen. Eine Dame erklärte sich zum Mitschreiben bereit und schon gings los. -Dazu muss ich vorausschicken, dass ich schon einmal ein Seminar zum gleichen Thema besucht habe, wo einer das gleiche Spiel veranstaltete und erklärte, er hätte sich schon eine 25stellige Hilfs-Liste von Worten eingeprägt, welche das Merken neuer Worte erleichtere: Einhorn, Zwillinge, Dreieck, Wagen,..usw. Als wir ihm nun die Wörter Telefon, Armbanduhr, Hammer, Stereoanlage usw. vorsagten, konnte er alles fehlerfrei nachher aufsagen, da er sich bei jedem Wort die Verknüpfung mit dem bereits vorhandenen gespeicherten Wort der Reihenfolge vorstellte: also das Telefon aufgespießt auf dem Horn des Einhorns, die Armbanduhr in den Händen der Zwillinge, die sich darum stritten, den Hammer im Dreieck als neues Verkehrszeichen und die Stereoanlage, die auf dem Wagen abtransportiert wird, usw.
Eingedenk dieser Leistung mit konkreten Begriffen begann ich nun als erster im Publikum, dem Gedächtnismeister ein Wort zu nennen und nahm hinterlistigerweise ein schwieriges, weil abstraktes: „Ribonukleinsäure!“  Der Meister machte große Augen, nickte aber zum Zeichen, er hätte mein Wort gespeichert und deutete zum nächsten. Dieser, ein Freund von mir, verstand meine Absicht und fuhr in ähnlicher Weise fort: „Äthylenalkohol!“ Auch der dritte von uns machte mit: „Polyprophylen!“ Der vierte sagte: „Polyvinylchlorid!“ - „Wie schreibt man das?“ fragte die Dame am Papier  und ich schlug vor: „Einfach nach Gehör!“ um dem Nerd nicht mehr Zeit zum  Merken beim Buchstabieren zu geben. -Der fünfte wusste ebenfalls etwas Schwieriges beizutragen, nämlich: „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänskajütentürklinke!“  Ein Anflug von Verzweiflung legte sich bereits über des Meisters Antlitz, doch noch machte er tapfer weiter. Bis auf zwei bis drei Ausnahmen, die ihm mit den Worten „Handy!“ und „Sargnagel!“ etwas seine selbst gewählte Aufgabe erleichterten, hatte der Arme mit lauter Fremdworten aus dem Lateinischen oder Griechischen, der Physik oder Chemie zu kämpfen und scheiterte. Schon beim achten Wort „Acetylaceton!“ verhaspelte er sich heillos und beim 10. (Molekularstruktur) gab er auf. Das „Streptokokkenmyzin!“ wollte schon gar nicht mehr über seine Lippen und war doch erst das 11. Wort. Wir haben uns alle glänzend amüsiert, denn Schadenfreude ist wirklich die reinste Freude. Entschuldigend gestand er nachher: „Das ist mir sehr peinlich, aber alle ihre Vorgänger wählten etwas einfachere Begriffe, die ich mir spielend leicht merken konnte! Aber da Sie alle scheinbar im wissenschaftlichen Bereich tätig sind…..“ - Tja, mein Lieber, dachte ich klammheimlich, das Leben ist kein Wunschkonzert. Ich hab es in meinem Dasein nicht leicht gehabt, da werde ich es auch dir so schwer wie irgend möglich machen und freute mich, dass die anderen fast alle mitgezogen sind. Das ist das Prinzip der Vorbildwirkung, die der Meister wohl auch gekannt hat, denn beim Abschied warf er mir einen Blick zu, den ich, wenn Blicke töten könnten, wohl nicht überlebt hätte.

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