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Montag, 13. August 2012

Ein liebes Kind

Sommerzeit, Urlaubszeit, Ferialjob-Zeit. In meiner Studentenphase habe ich mich oft als Babysitter verdingt. Wer glaubt, das sei leicht verdientes Geld, hat selber keine Kinder, seine eigene Kindheit vergessen und lebt keinesfalls neben einer Schule, sondern sicher am Stadtrand in einer Tonne wie weiland Diogenes. Vorweg: Die Kinder haben mich alle überlebt, nur ich war nach ihnen reif für die Anstalt. Ein liebes Kind ist mir noch besonders gut erinnerlich: der kleine Marvin. Seine Eltern haben ihn wahrscheinlich nach Lee Marvin benannt, der hatte den gleichen Killerblick.  Als ich mich für den betreffenden Abend in der großen, teuer eingerichteten Wohnung einfand und artig vorstellte, wies mich seine Mami gleich an, dass er sofort nach dem Rosaroten Panther ins Bettchen müsse. Ich ahnte, dass das nicht leicht werden würde, denn die Bälger dachten um diese Zeit noch an alles andere als an Schlafen, vermuteten Riesen-Spinnen unterm Bett, Monster im Wandschrank und Besuche von Außerirdischen und dem verspäteten Osterhasen am Fenster. Außerdem wurden sie von allen gewarnt, Fremden zu vertrauen und wenn dann ein Fremder an der Bettkante saß und wartete, dass sie endlich einschliefen, wo sie noch viel hilfloser waren als im Wachzustand, war die Mission Sandmännchen total ausgeschlossen! Nun, während seine Alten also in der Oper Wagners Walküren lauschten, saß er also noch putzmunter vorm Fernseher und zappte sich durch alle 64 Programme und ich stand staunend vor der großen Hausbar und überlegte, wie wohl die 6 verschiedenen Whiskey-Sorten vom Papi schmeckten. Natürlich nahm ich nur von den 5 offenen Flaschen je einen guten Schluck und rührte die noch verschlossene 6. nicht an. Damals wurde mir auch klar, dass ich keine harten Getränke vertrage und auch gegen kleine aufgeweckte Buben allergisch bin, was sehr wichtig für meinen weiteren Lebensweg war. Redete wer von Familiengründung, machte ich den flotten Abgang. Mit viel Überredungskunst brachte ich den Racker zum Zähneputzen und ins Bett, wo ich ihm aus einem Märchenbuch vorlas. In der Story ging es um einen Ritter, welcher erfolglos gegen einen Drachen kämpft (so kam ich mir auch vor), und nicht im geringsten ums Essen. Trotzdem unterbrach er meinen Lesevortrag mit der Forderung: „Ich will Topfenpalatschinken haben!!!“
Na, ich las weiter als wär nix gewesen und er deckte sich auf, krabbelte auf mich zu und brüllte in mein linkes Ohr: „Halllooooo!!! Ich will Topfenpalatschinken haben!!!!!“-Drauf ich: „Geht nicht, ist ja gar kein Topfen da!“- „Doch, die Mami schmiert ihn sich immer aufs Knäckebrot!“ – „Dann kann man ihn ihr nicht wegnehmen!“ – „Oja, die soll sich einen neuen kaufen!“ – „So spät abends essen ist ungesund!“ – „Für mich nicht!“ – „Hör zu, ich bin als Babysitter engagiert und nicht als 3-Sterne-Koch!“- Daraufhin setzte er sich mit verschränkten Armen mitten auf sein Bett und erklärte trotzig: „Wenn du mir keine Topfenpalatschinken machst, dann scheiß ich in mein Schlafanzug und du musst ihn waschen! Das stinkt fürchterlich!“ Sein Babyface verkrampfte sich augenblicklich, so als drückte er schon einen Stöpsel aus dem Po. Im Vorschulalter hätte ich niemals gewagt, einen Fremden mit meinen Fäkalien zu erpressen, aber die Menschheit verroht ja zusehends und auch die boshaften Affen im Zoo scheißen sich manchmal in die Hand um ihre Exkremente auf Feinde zu werfen.
„Scheiße darf man nicht sagen!“ ermahnte ich ihn und glaubte so, ihn ablenken zu können. -„Ich sag ja gar nicht Scheiße! Die andern Kinder sagen immer Scheiße! Ich weiß, dass man Scheiße nicht sagen darf, aber die wissen nicht, dass man Scheiße nicht sagen darf…“ Nachdem er mindestens 37mal das verpönte Wort geäußert hatte, fiel ihm wieder sein ursprüngliches Anliegen ein: „Mach mir jetzt endlich meine Scheiß-Topfenpalatschinken!!!“
Spätestens jetzt hätte ich dem Möchtegern-Hosenscheißer liebend gern den dicken Märchenwälzer auf seinen kleinen Dickschädel geschlagen und zwar bei jeder Silbe: Es-zack!- gibt-zack!-keine-zack!-Topfen-zack!-Pala-zack!-tschinken-zack!- Hach, aber das darf man ja nichtmal bei den eigenen Ablegern in Notwehr machen, was sicher auch ein Grund für den Rückgang der Geburtenrate war. Dann fügte der Knirps noch drohend hinzu: „Sonst sag ich dem Papi, dass du dich angesoffen hast!“ – Also trabte ich- der Klügere gibt nach- in die Küche, gefolgt von ihm, der meine Kocharbeit argwöhnisch observierte, panschte Milch mit Mehl und Ei in einem Topf zusammen, gab Fett in eine heiße Pfanne und schüttete den Teig rein, verzierte die lederartigen Gebilde hernach mit reichlich Magertopfen und Kristallzucker, um sie ihm am liebsten in seinen gierigen Rachen stopfen zu können. Doch er aß sehr manierlich mit Messer und Gabel und schmatzte dabei kaum hörbar. In der supermodernen Küche hatte sich eine beachtliche Rauchwolke gebildet und Marvin erklärte: „Die Mami macht immer klick dort oben!“ Dabei zeigte er mit einem seiner Patschhändchen auf die Dunstabzugshaube, von der ich als armer Studioso mit 1,5 Promille null Ahnung hatte, sondern immer nur das Fenster öffnete, wenn bei mir daheim was verbrannte. „Das sagst du mir eh schon früh, knapp vor der Rauchgasvergiftung!“ Das Gerät sog die Wolke ab, der vollgefressene Giftzwerg verzog sich wieder ins Bett und ich machte noch den Abwasch, während ich betete, dass er meine aus der Not geborene Süßspeise überlebt und nicht alles vollkotzt und ich noch die Sauerei aufwischen muss! Nachdem ich das halbe Buch ausgelesen hatte und schon ganz heiser war, schlief er mit vollem Magen endlich ein und dämmerte seinen Alpträumen entgegen. Wenig später erschienen Gottseidank seine Eltern wieder und die Frau Mama bemerkte mit schnuppernden Nasenbewegungen: „Da riecht es angebrannt!“
„Bitte angebrannt ist gar nichts, ich habe Ihrem entzückenden Sohn nur köstliche Topfenpalatschinken gezaubert und nachher auch alles abgewaschen!“ verkündete ich stolz.
Etwas abfällig bemerkte sie: „Sie hätten nur alles in den Geschirrspüler stellen brauchen.“
Uff, das sagt die mir jetzt, dachte ich. Aber nun war mir auch klar, warum nirgends ein Geschirrtuch herumhing und ich stattdessen die aparten Küchenvorhänge zum Abtrocknen zweckentfremden musste. Zum Glück haben die mich nie wieder gebucht. Was mag aus Marvin wohl geworden sein? Der ließ sich sicher nicht die Butter vom Brot nehmen, sondern forderte noch Kaviar drauf! Mittlerweile muss der kleine Erpresser auch schon alt genug fürs Jugendgericht sein…

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