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Donnerstag, 17. Januar 2013

Blank in der Bank

Der elegante Anzugträger schnaufte schwer und sah sehnsüchtig auf die 3 Kippen im Aschenbecher, wohlwissend, dass er nicht rauchen durfte, um sie zu vermehren. Wiewohl ihn die Situation, der er sich nun hilflos ausgesetzt sah, dazu nötigte, sie mit dem Inhalieren von Nervengift zu entschärfen. Die Luft war seit dem Ausfall der Klimaanlage stickig, aber ein Fenster konnte ja nicht geöffnet werden. Keine einzige Pflanze spendete Sauerstoff, an den Wänden nur abstrakte Bilder in düsteren Farben. Merkwürdig, dachte er müde, zum ersten Mal hat einer das Sagen, der schlechter gekleidet ist als ich.
Der Mann im karierten, die Ärmel hochgekrempelten Holzfäller-Hemd schien Grunge-Fan zu sein. Fettige Haarsträhnen hingen in sein junges Gesicht, in dem stechende Augen dominierten. Gerade spielte er mit dem Namensschild aus Metall. Schimke stand in großen Lettern darauf.
„Ich bin sicher, dass es für Ihr Problem eine einfache Lösung gibt.“ versuchte Schimke mit belegter Stimme und erhöhter Pulsfrequenz beruhigend auf ihn einzuwirken.
„Ja sicher, so wie ein Krebskranker seine Metastasen hypnotisieren und zu Heinzelmännchen umfunktionieren kann oder jeder sich beim Universum den Traumpartner wie eine Pizza beim Lieferservice bestellen kann und -schwuppdiwupp- schon ist sie da.“
„Warum sind Sie denn in jungen Jahren schon so verbittert?“
In einem Anfall von Wut und Verzweiflung warf ihm der Junge das Namensschild ins Gesicht. „Warum wohl? Frag das mal die Scheiß-Politiker, die das Land von Pleite zu Pleite führen. Pleiten, die dein Scheiß-Institut mit verursacht hat. Der Mittelstand verschwindet, die Armen verelenden, aber die Reichen werden immer reicher! Und das immer schneller!“
„Ich gehöre ganz bestimmt nicht zu den Reichen.“
„Ich genauso wenig! Mein Vater war der einzige in unserer Familie, der noch Arbeit hatte und der liegt jetzt im AKH!“
„Das tut mir sehr leid.“
„Och, mir kommen gleich die Tränen. So wie vorige Woche, als ich um einen kleinen Kredit bat. Ich wollte nur ein paar schöne Jahre verbringen, bevor das nächste AKW in die Luft fliegt. Glaubst du, dass ich das Geld bekommen hab?“
Bitter musste die Erkenntnis sein, dass eine Bank nur dem Kredit gibt, der ihn eigentlich gar nicht nötig hat, dachte der rein rhetorisch gefragte Fachmann schmerzvoll. -  „Sicher war Ihr Konto überzogen.“ - Klar, nach Bonität siehst du armer Teufel ganz bestimmt nicht aus. Und ich hätte dir das Geld aufgrund meiner Richtlinien auch nicht geben dürfen. Wir sind alle nur Schachfiguren auf dem Brett der Bonzen.
„Erraten! Und rat mal warum? Ich sag’s dir: weil die Preise steigen aber die Mindestsicherung nicht. Genauso wenig wie die Rente meines Opas. Und dann stirbt mir der auch noch weg.“ Ein Zittern in seiner rauen Stimme verriet unbewältigte Trauer. Trauer und Wut sind ein sehr gefährlicher Gefühlsmix, meist immun gegen goldene Worte aus Kalendern, Poesiealben und der Bibel.
Schimke vermied es, erneut sein Mitleid zu bekunden, geschweige denn Todesfälle in seiner eigenen Familie zu erwähnen. „Glauben Sie eigentlich an Gott?“
„Momentan sitzt er vor dir! Ich entscheide über dein Leben! So wie deine Kollegen vorher über meins entschieden haben.“ Sich seiner Macht bewusst, warf er schwungvoll die fettigen Haarsträhnen aus seinem trotzigen Antlitz.
„Glauben Sie mir-
„Weißt du, was beim Klauben das Höchste ist?“
„Muss ich büßen, was Ihnen andere angetan haben?“
„Sieht fast so aus! Gestern stand ich am Abgrund und heut bin ich schon einen Schritt weiter. HA! Geschubst von deinesgleichen! Banker und Aktien-Händler sind krimineller als Psychopathen, aber statt im Hochsicherheitstrakt zu sitzen finanzieren sie Politikern die Wahlkämpfe und dürfen uns weiter ruinieren. Sehr schlau, was?!“
„Schwarze Schafe gibt es leider überall. Unter denen leiden nicht nur Sie.“ Unter seinem Sakko schien auf dem weißen Hemd eine kaminrote Blume aufzublühen und ein brennender Schmerz pochte heftig.
„Das sind keine Schafe sondern Bestien!“ Seine stechenden Augen wanderten von Schimkes verschwitztem Gesicht zur Wunde.
„Ich glaube, Sie haben die Leber getroffen. Das Blut ist so dunkel.“
„Ne, ist nur eine Fleischwunde. Wenn die Leber versagt, kriegt man nämlich eine Ammoniak-Vergiftung und dann redet man wirres Zeug. Aber du kannst noch klar denken!“
„Sie sind also medizinisch gebildet. Hätte ich gar nicht von Ihnen gedacht. Da gibt es sicher die Möglichkeit, einen Job im Gesundheitswesen zu-“
Sein Gegenüber lachte laut auf. „Ja klar, wenn im Gesundheits-Ministerium eine Stelle frei wird, kommt man sicher gleich auf mich! Hallohooo! Wir brauchen endlich eine fähige Kraft, da ist uns spontan Ihr Name eingefallen!“
„In Spitälern wird gut geschultes Personal gesucht.“
„Das weiß ich. Spätestens seit ich meinen Opa besucht hab. Den haben sie 3 Stunden auf der vollen Leibschüssel liegen lassen.“
Oh mein Gott, durchfuhr es Schimke, ich bin verloren! Seltsam, dass man immer nur an Gott denkt, wenn’s einem so miserabel geht und hofft, dass er ein Stoßgebet in größter Not erhört.
„Und als Zivi durfte ich in so einer kranken Anstalt für lau schuften, während es der Oberarzt mit einer Krankenschwester im Umkleideraum trieb.“
„Dafür kann ich doch nichts! Wo Menschen sind, da geht es eben immer auch ungerecht zu. Der menschliche Faktor-“
„Oja, vor allem in Banken. Ihr verschiebt Geistergeld, spielt High-Risk-Games mit fremdem Kapital, bekommt dafür noch Millionen Euro Abfindung als Belohnung für euer Versagen nachgeschmissen und wenn einer wie ich nur einen lumpigen Tausender erbetteln will, zeigt ihr ihm nur ein überhebliches Arschgesicht! Pah! Nicht mal mit Gewalt lasst ihr gierigen Hunde euch was abluchsen. Aber wenn ich untergehe, dann reiß ich dich mit in den Abgrund!!!“ Trotzig ballte er eine Faust so stark, dass die Sehnen heraustraten. „Und zwar mit großem Vergnügen! Den Aufprall wird man hören von hier bis nach Dschibuti!“
„Wissen Sie überhaupt wo das liegt?“ Diese freche Frage überraschte ihn selbst.
„Ich weiß gar viel, aber es nutzt mir leider nichts! Man muss eben dazu gehören zu den Haien der Finanzwelt! Stimmt schon, was man so sagt: nur Amateure überfallen eine Bank, die echten Profis gründen eine!“
Ich hab Ihnen ja den Kleinkredit nicht verwehrt. Mir ist schlecht!“ Mit einer Hand drückte er sich ein Taschentuch auf den größer werdenden Blutfleck, welcher grotesk einer eigenwilligen Modekreation der Haute Couture ähnelte. Die Spannung zwischen den ungleichen Widersachern schien greifbar.
„Ja, mir auch! Dein Pech, dass ich nicht gleich zu dir gekommen bin, sondern zu einem deiner Kollegen Kapitalverbrecher! Ihr haltet doch alle zusammen und das verfluchte Geld hoch!“ Seine Worte klangen wie hingerotzt auf den mit Papieren übersäten Schreibtisch. „Sind das alles Kredit-Anträge, die du ablehnen wirst?“ Mit einer schnellen Handbewegung wischte er sie alle vom Tisch und sie tanzten für einen kurzen Moment in der Luft, die zu brennen schien. Wie auch der Hass in dem Jungen brannte und kurz vor der Explosion stand.
„Sie können Ihr Leben immer noch in den Griff bekommen!“
Ein böses Lächeln umspielte die zusammengebissenen Lippen. „Zu Spät! Ich hab’s genauso versaut wie die Banken! Nur dass ich leider keine Hilfszahlungen bekomme. Ihr Idioten habt einen Flächenbrand entfacht und spannt jetzt den Regenschirm auf!“
„Sie haben impulsiv gehandelt, ohne nachzudenken.“
„Das mit dem vielen Denken ist gar nicht so gut.“ sinnierte der Junge mit einem Blick ins Leere, so als starrte er von einer trostlosen Vergangenheit in eine noch trostlosere Zukunft. „Wenn man genau nachdenkt, begreift man erst, was alles schief läuft und, dass wir alle im selben Zug sitzen, der zu viele rote Signale überfahren hat, ohne die Möglichkeit, noch rechtzeitig auszusteigen.“
Ein Telefon begann zu läuten, um sofort zu verstummen, nachdem der Junge mit einem Ruck das Kabel rausgerissen hatte. „Zu spät!“
„Da irren Sie sich. Es ist nie zu spät!“
„Und ob, unser ganzes System geht langsam aber sicher den Bach runter. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Wir gehen unter wie einst die Griechen und die Römer. Wir amüsieren uns zu Tode, das heißt, diejenigen von uns, die es sich leisten können! Leider gehör‘ ich nicht dazu zu der feinen Gesellschaft!“
Wie war das noch mal in dem Abwehr-Kursus, überlegte Schimke fieberhaft, den Täter ablenken, ich muss ihn auf andere Gedanken bringen…
Der Junge drückte sich leicht mit einem Arm im bequemen Stuhl hoch und wollte eben aufstehen, um vorsichtig aus dem Fenster zu spähen.
„In meiner Freizeit schreib ich Gedichte, soll ich Ihnen eins vortragen?“ Seine Gedanken kreisten um die Möglichkeit einer Flucht, denn der Grunge-Fan hatte seine Waffe längst weggesteckt, da er in dem Verwundeten keine Gefahr mehr sah. Die vom Opa geerbte Pistole, von der er sich Respekt und Rettung versprochen hatte, steckte nun hinten in seinem Hosenbund, wie ein großes Geschwür kurz vor dem Aufplatzen.
„Mir fällt ad hoc nur Fontanes Brücke am Thai ein: Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand!“ Dabei spielte er mit dem kaputten Telefonkabel kurz wie mit einem Lasso und warf es dann in weitem Bogen von sich. „Musste ich in der Schule zur Strafe auswendig lernen. Die hätten mir stattdessen lieber die Börsenregeln oder Wirtschaftsfibeln aufbrummen sollen! Und wenn ich dich so sehe, empfinde ich auch den menschlichen Körper als Tand!“
Schimke verfiel zusehends und rutschte leicht von seinem Chefsessel, stemmte sich aber mühevoll wieder hoch, obwohl er ihn an den Elektrischen Stuhl erinnerte. Ja, auf dem verbrannten auch schon viele Unschuldige, durchfuhr ihn ein Gedanke an Leidensgenossen.
 „Egal, sag mal eins deiner Gedichte auf. Vielleicht bin ich ja so beeindruckt davon, dass ich dich wie die andern laufen lasse.“
Es kam ihm zwar sinnlos vor, aber er schluckte schwer und flüsterte mehr als er sprach: „Denn mit den Göttern soll sich nicht messen irgendein Mensch…hebt er sich hinan himmelwärts und berührt mit dem Scheitel die Sterne… verliert er den Boden unter den Sohlen und mit ihm spielen die Wolken im Wind und er wird zum hilflosen Kind!“
„Das hast nicht du geschrieben!“ Scheinbar hatte er öfters strafbares Verhalten gezeigt und beherrschte zu Schimkes Pech Legionen von Lyrik-Bänden. „Das ist von Goethe. Prometheus! Der den Menschen das Feuer gebracht hat, damit sie sich die Finger verbrennen!“
„Falsch! Es ist eine Strophe aus seinen Grenzen der Menschheit!“ Kurz flackerte Triumpf über seinen Pyrrhussieg auf. Alles umsonst, dachte er noch, was einer aufbaut, reißt der andere wieder nieder und am Ende hat keiner etwas.
Und er fühlte sich wie Prometheus an den Felsen geschmiedet, vom scharfen Adlerschnabel in die Leber gehackt.
„Jedenfalls hast du falsch zitiert!“ Sein Grinsen verriet Schadenfreude.
„So? Dann hab ich wohl doch eine Ammoniak-Vergiftung!“
KLIRR! KRACH!
Fensterscheiben splitterten, eine Blendgranate nahm beiden die Sicht und ein Nebel aus Tränengas dampfte in das trostlose Büro, der beide zum Weinen brachte. Schwarz vermummte Gestalten stürmten die Bank, pittoresk wie dunkle Geister in einem hellen Splitterregen tauchten sie auf und brüllten: „Polizei!!! Alles hinlegen!!“
Eine bis ins Detail geplante Kommandoaktion, um endlich die letzte Geisel zu befreien.
Zu spät!

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