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Montag, 10. März 2014

Der Zufall

Gestern -Sonntag, Punkt 7 Uhr putzmunter und eine halbe Stunde später läutet das Telefon. Als ich abnahm nahm ich an, es wäre natürlich jemand der mich (als Frühaufsteher) kennt. „Hallo!“ begrüßt mich eine müde Stimme, „Ich bin grad auf der Nachtschiene und hab dich gesehen!“ - ??? Erst denk ich an einen Nachtclub, dann fällt mir ein, dass das ja ein Programm auf W24 ist. Man sieht eine Straßenbahnfahrt aus der Sicht des Fahrers, bzw. dessen Kamera. Hm, gut möglich, dass mich diese auf einem meiner vielen Spaziergängen quer durch Wien eingefangen hat. „So?“ – „Ja, du bist durchs Bild gehuscht.“ erklärt der Anrufer, von dem ich grad kein Antlitz vor meinem geistigen Auge habe. Also dreh ich den Fernseher auf, weil ich sowieso die Teleakademie um 7Uhr45 gucken will. „Ich kann nämlich nachts nicht schlafen und da schau ich mir das faaaade Gezuckel von der Tram an.“ meint er, während er gähnt. „Aha.“ – „Ja, hab mich lang nicht mehr gemeldet und bsss-“ Aus, der scheint endlich eingeschlafen zu sein und ich sitz mit dem Hörer vorm TV und frage mich, ob ich den überhaupt kenne. - Da beginnt die Sendung Total Recall-wie Internet unser Denken und Leben verändert aus dem Jahr 2012 von Prof. Dr. Miriam Meckel. Komisch, gestern-Samstag sah ich die noch auf Puls4 in der Reportage Burn Out als betroffene Patientin, die über Hunderte eMails weinte und sich außer Stande sah, alle zu beantworten. Heute berichtet sie auf SWR, dass sie mal auf Facebook die virtuelle Geburtstagstorte von jemand liken wollte und da erschien das Insert Object cannot be liked. Das verursachte ihr einen Schock, dass einem Facebook vorschreibt, was wir liken können und was nicht. Es wird einem diesbezüglich die Entscheidungsfreiheit von einer Maschine, der Software bzw. einem Algorithmus genommen. Dahinter liegt ein Denkproblem: menschliche Denkweisen sind konstitutiv. Lernen ohne Irritation durch Unbekanntes und Unbehagliches ist nicht möglich. Wir haben kein deterministisches maschinelles Programm. ( „Chrrr!“ dröhnt es aus dem Hörer in mein Ohr. Soll ich den aufwecken oder schlafen lassen?) Menschen verdanken dem Zufall sehr viel und der ist nicht im Computer. Zu- und Abneigungen, die konstitutiv sind, sind berechenbar, siehe Partnerinstitute: man wird aufgrund eines Fragebogens mit jemand verkuppelt, der ähnlich ist und sollte zu ihm passen. Doch die Wirklichkeit ist oft nicht so.
Apple hat das Tool Genius, welches bei einer Musikauswahl gleich eine Playlist ähnlicher Musikstücke zusammenstellt. Ähnlich wie bei Amazon, wo bei Eingabe eines Buches gleich mehrere ähnliche vorgeschlagen werden unter: Das könnte Sie auch interessieren. Als Fr. Prof. Dr. Meckel mal bei Amazon klickte – schwupps – wurde ihr ihr eigenes Buch vorgeschlagen. Ziemlich unnötige, da sie es ja geschrieben hat und daher sicher nicht kaufen wollte. Das zeigt die begrenzte Möglichkeit eines Algorithmus auf, der deterministisch ist. Er liefert immer dasselbe Ergebnis und keine Variation. Es gibt auch nicht deterministische Computer z.B. für Lottospieler. Eine Software ist neutral aber nicht vom gesellschaftlichen Aspekt, weil sie ja von jemand einprogrammiert wird. Der Zufall ist wichtig, denn durch ihn kommt das Neue in die Welt. (In der Leitung röchelt es. Kenn ich den am andern Ende vielleicht gar nicht und er hat nur zufällig meine Nummer ausm Telefonbuch gewählt?) Verlassen wir uns auf den Algorithmus, verlassen wir uns auf ein endliches Set an Auswahlmöglichkeiten. Alles auf Zukunft Basiertes wurde in der Vergangenheit angelegt. Das sind also Rekombinationen aus der Vergangenheit uns schon Bekanntem. Es verändert unser Weltbild – führt zu netzbedingter Kurzsichtigkeit. Eine konkave Linse, die sich synchron zu unsrem Interesse immer mehr verengt. Ein digitaler Hohlspiegel unsrer selbst. Perfektes Matching zwischen unserm Interesse und dem Angebot. Wir sind nicht Kunde, sondern in diesem Zusammenhang das Produkt!  Unsre Interessen sind nur relevant, wenn sie sich in der Verkaufsstrategie manifestieren! IM Computer bekommen wir eine guided Tour durch Apple als Torwächter. Früher nannte man das monopolistische Zustände, heute findet man es cool, meint Fr. Prof. Meckel. User generated Content ist im Internet angelegt. Wir sind nur rezipierender Konsument. Netzwerke neigen immer zu monopolistischen Zuständen. 2010 wurden 37Mio. eMails durch deutschen Geheimdienst überwacht! In 213 Fällen zu Recht, also 0,05 % Treffer! Das führt uns zum Staatstrojaner – wenn Sie Pech haben, wird er Ihnen am Zoll auf den PC gespielt und kann später ihre Kamera aktivieren und zugucken, wie Sie im günstigsten Fall nur Kaffee trinken (wusste ich gar nicht, in der Leitung schnarcht es immer noch) und auch updaten, was er aber gar nicht darf!!! Es werden auch regelmäßig  Screenshots gemacht und damit Momente eingefangen. Das heißt, es kann der Moment einer Kommunikationsabsicht gespeichert werden, die nie Lebensrealität wird. Sie nennt nun das Beispiel, dass sie sich so über wen ärgert, dass sie ihm eine eMail mit einer Morddrohung schreibt, es sich aber dann überlegt und weder die Mail abschickt, noch natürlich den (im ersten Schreck gedachten) Mordplan vollendet. Dieser Moment der Gedankenfreiheit wird mit dem Screenshot aber zur festen Absicht und damit zu einem Faktum! (Röchel! Stirbt mein unbekannter Anrufer grad oder träumt er nur schlecht?) Hermann Hesse sagte mal: Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden könne. Aber wird es nicht zur Hölle? Wenn man keine Chance auf einen Neuanfang bekommt? Wenn man Reputationsinsolvenz anmelden muss? Freiheit gibt es nur zum Preis der Unberechenbarkeit! Der Mensch verändert sich in einer vom Zufall befreiten Welt. Wenn er widerstandslos dem Datenstrahl hinterherhetzt als Teil einer festgelegten Ordnung, der er zu folgen hat. Menschen sind aber nicht deterministisch und versuchten immer Ordnung immer als Ausnahmezustand vom Chaos herzustellen. Das Chaos ist aber der Urzustand! Und der Mensch ist ein hochkomplexes sozialpsychisches System. den kein Computer imitieren kann. Das macht ihn auch so interessant. Die menschliche Natur läuft dem Computer zuwider. Der Mensch ist gleichzeitig Zufallsgenerator und Ermessensspielraum. Beides bekommt man nicht durch auf Algorithmen basierte Angebote. (Klar, mich hat noch nie ein schlafloser Computer angerufen und mir ins Ohr geschnarcht) Wir werden zu Echokammern unsrer selbst, leiden – expressiv ausgedrückt – am Locked-in Syndrom. Für Vielfalt und Abwechslung sind menschliche Kontakte wichtig. Sie plädiert auf ein Menschenrecht auf Zufall, sich überraschen lassen zu dürfen. Darüber sollten wir nachdenken vor dem Gebrauch des Internets. Wir haben die Pflicht uns zu kümmern, die Mechanismen des Internets zu verstehen! BRAVO! ruf ich spontan und der Anrufer erwacht und fragt: „Was?“ – „Ach nix, schlaf weiter!“ schlag ich ihm vor und leg auf. Nachher frag ich mich: „Wer war das eigentlich????“

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