Der weißhaarige Mann bot einen traurigen Anblick: zusammengesunken saß er an seinem Esstisch vor einem Teller, auf dem ein angebissenes Stück Sachertorte lag. Kommissar Rau sah sich in der feudalen Villa am Stadtrand Wiens etwas genauer um, während die Leute von der Spurensicherung den Tortenrest einpackten. „Kann es nicht einfach ein simpler Herzinfarkt gewesen sein?“ fragte er die weinende Haushälterin des Toten, Herrn Gerry Glenschek.
„Neiiin!“ protestierte sie und ein weiterer Schwall von Tränenflüssigkeit ergoss sich aus ihren Augen. „Das war einer seiner feinen Blutsverwandten, die schon wie die Geier auf die Erbschaft lauern, das können Sie mir glauben! Einer hat ihm die Torte per Post zum Geburtstag geschickt! Obwohl als Absender eine Konditorei angegeben war, die eine Gratiskostprobe anpries. So eine Gemeinheit!!!“
„Und wen haben Sie da genau im Verdacht?“ hakte Rau nach.
„Alle Fünfe! Und darum hab ich die auch sofort angerufen und hierherbestellt.“
„Das war aber voreilig von Ihnen. Sie haben doch nicht etwa gesagt, dass Sie glauben, der alte Herr sei vergiftet worden?“ befürchtete Rau, denn er hoffte, dass sich einer der Verdächtigen bei seiner Befragung verplappern würde.
„Doch, natürlich, die brauchen doch nicht glauben, ich sei verblödet!“
Da tauchte auch schon der erste Mordverdächtige auf, ein soignierter Herr im besten Alter und stellte sich vor: „Mein Name ist Harry Glenschek, der Neffe des armen Toten. Glauben Sie bloß nicht alles, was Ihnen diese übereifrige Frau Fasnacht erzählt hat.“
Die Haushälterin hatte sich schluchzend zurückgezogen und Rau erkundigte sich: „Dass er vergiftet worden ist?“
„Nein, das mag schon sein, aber dass sie mich und sicher auch die andern Verwandten angeschwärzt hat. Hat Ihnen sicher alle unsre Sünden runter gebetet.“
„Dazu hatte sie noch keine Zeit.“ gab Rau zu und zückte wie immer sein Notizbuch.
„Na Gottseidank, ist eh alles nur Neid, denn die wollte immer selber alles abstauben und drängte ihn dazu, uns zu enterben.“ verkündete Harry. „Aber wenn sie recht haben sollte, dann kann es nur Bob, unser Apotheker gewesen sein, denn der hat immer uneingeschränkten Zugriff auf alle möglichen Gifte. Von Blausäure über Arsen und wie das noch alles heißt.“
„Und wann haben Sie den toten Onkel zuletzt besucht?“
„Äh, gestern, ich brachte ihm mein Geschenk, einen neuen Gehstock mit echtem Silberknauf, außerdem ist im Stock selbst noch eine Klinge verborgen, mit der er etwa Einbrecher erstechen kann- äh hätte können.“ frohlockte Harry und setzte sich in das Herrenzimmer neben dem Speiseraum, wo gerade der Tote begutachtet wurde.
Schon klingelte der nächste der freudigen Erben und trat ein, nachdem ihm Rau die Tür geöffnet hatte. „Kommen Sie bitte mit, Herr???“
„Glenschek! Ich bin Sigi, der Großneffe des Alten. Und wenn ihn einer vergiftet hat, dann kann das nur unser Hobby-Gärtner Alfons sein!“ Während er Rau in ein Zimmer im oberen Stock folgte, plapperte er weiter: „Ich vermute, es ist ihm aufgrund der vielen giftigen Pflanzen in seinem Garten eingefallen. 3 kleine Blüten vom Goldregen genügen ja schon, um einen Erwachsenen zu töten.“
„Und was sind Sie von Beruf?“
„Ich bin äh- Privatier. Denn ich habe von meiner seligen Mama ein großes Erbe übernommen.“ stellte er fest und blickte aus dem Fenster. „Oh, da kommt ja Bob!“
Schnell eilte Rau zur Tür, um den Apotheker in Empfang zu nehmen. „Mein Beileid, Herr Glenschek, in welcher Beziehung standen Sie zu dem Verblichenen?“
„Ich war sein jüngster Bruder, leider verstanden wir uns nicht so gut, aber es gab nie so große Probleme, dass ich ihn ermorden wollte.“
„Wen haben Sie im Verdacht?“ fragte Rau und führte Bob in die Küche.
„Vor allem Harry, der hat seine Finger bei jeder Schurkerei im Spiel.“
„Was ist denn Harry von Beruf?“
Bob überlegte kurz: „Oh, der wechselt dauernd die Profession. Zuletzt war er bei einer Finanzdienstleistung tätig. Wahrscheinlich hat er sich verspekuliert und brauchte dringend Geld. Da ist es nur mehr ein Schritt, den eigenen Onkel umzulegen.“
„Ich kenne jetzt schon Harry, Sigi, Sie und habe schon von Alfons gehört. Wer ist der fünfte Verwandte, der vom Tod des alten Herrn profitiert?“
„Kurt, der Zocker-Neffe. Verbringt seine Abende im Kasino und gewinnt öfters. Der hätte es eigentlich nicht nötig, sich die Finger schmutzig zu machen.“ meinte Bob.
Kurz nach diesem Gespräch erschien Alfons mit einem Strauß weißer Lilien. „Stimmt es wirklich, dass mein älterer Bruder tot ist?“
„Leider ja, einer der lieben Verwandten sagte mir schon, dass Sie in Ihrem Garten jede Menge giftiger Blumen züchten.“ eröffnete ihm Rau und geleitete ihn in den Salon.
„Jawohl, aber die verkaufe ich und missbrauche sie nicht, um andere ins Grab zu befördern. Außerdem war mein Verhältnis zu Gerry einwandfrei. Geld brauche ich auch keines. Lassen Sie mich raten, ….es war sicher Harry, der mich verdächtigt hat!“
„Nein, es war Sigi, wenn Sie es genau wissen wollen.“
„Wer hätte das gedacht. Bis vor kurzem hat der noch bei mir Quartier genommen, weil er angeblich seine Wohnung neu renovieren lässt und nun dankt er es mir auf diese infame Weise!“ erregte sich Alfons und schüttelte die Lilien so sehr, dass sie gelben Blütenstaub auf dem Teppich im Salon verstreuten. „Nach all meinen Bemühungen, ihm die Gärtner-Kunst näherzubringen.“
Die Unterredung wurde von der Ankunft Kurts unterbrochen, den Rau im Vorzimmer in die Pflicht nahm. „Wann haben Sie Ihren Onkel das letzte Mal besucht?“
„Vorgestern, denn ich hatte gestern ein Poker-Turnier, das ich übrigens gewonnen habe. Also ich bin nicht scharf auf ein schnelles Erbe. Fragen Sie doch Harry, der ist unser schwarzes Schaf.“ schlug Kurt vor. „Oder Bob, der in seinem Apotheker-Schrank alle möglichen Gifte hortet. Und es ist immer derjenige, der am leichtesten Zugriff zur Mordwaffe hat, nicht wahr?“
„Nicht immer, manchmal ist es einer, auf den vorerst kaum Verdacht fällt und der vordergründig nicht die Möglichkeit hat, sich Gift zu beschaffen.“ erklärte Rau und blätterte seine Notizen durch.
„Oh, Sie sind ja wie Inspektor Columbo, von dem glauben die Schurken, dass er dumm ist und wenn sie merken, dass er gewitzt ist, sind sie schon überführt.“ scherzte Kurt.
„Ja, ich glaube, ich habe den Täter schon. Ich muss nur noch warten, bis der toxikologische Befund meinen Verdacht bestätigt.“
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