Als Jumbi frühmorgens mit einem blauen Auge im Büro ankam, erklärte er seinem Chef gleich ungefragt: „Gestern stoß ich beim Einparken ein Moped um. Grad wie ich’s aufheb, kommt so ein junger Schnösel daher und fragt: Du Krankenhaus?“
„Tsiss, diese Jugendsprache! Wollte der, dass du ihn ins Spital bringst, oder meinte er, dass er dich dort reinbringt?“ witzelte Rau.
„Wohl letzteres, denn plötzlich hab ich seine kleine Faust im Aug und seh‘ erst Sterne, dann nur mehr seine Auspuff-Wolke!“
„Hast du dir sein Kennzeichen gemerkt?“ fragte Kommissar Rau belustigt.
„Scheiß drauf, wenn ich den Hosentaschen-Attila noch einmal erwisch, dann leg ich ihn rein privat auf ein Schnitzel zusammen! – Gibt’s heut noch keinen Mord?“
„Nein, aber eine alte Dame war hier und meldete ihren Enkel Alois als vermisst. Sie ist in großer Sorge, da sie seine Posaune, die sie ihm zu Weihnachten geschenkt hat, einfach auf der Straße liegend fand. Auf ihre Anrufe reagiert er nicht, hebt nicht einmal ab.“
„Die soll froh sein, dass er nicht zu ihr schnorren kommt. Die Jungen wollen doch alle bloß Geld für Handy und Computer und zum Koma-Saufen. Apropos, wie steht’s mit einer Gehalts-Erhöhung?“
„Schlecht, solang du dir im Privatleben mehr Blessuren holst als im Dienst.“ Rau erhob sich von seinem Chef-Sessel und ordnete an: „Solang wir nix zu tun haben, suchen wir den Enkel von-“
„Aber wir sind doch für Vermisste gar nicht zuständig.“ protestierte Jumbi.
„Ich hab es ihr versprochen! Wir gehen ihrem einzigen Hinweis nach. Einem gewissen Roland Kaiser – nein nicht der Schlagersänger – er ist bei der Post beschäftigt, aber ein zwielichtiger Geselle, laut der Oma. Und wohnt in der Schlachthausgasse.“
„Na, wenn das nur kein schlimmes Omen ist!“ meinte Jumbi und folgte ihm widerwillig.
An der besagten Adresse öffnete ein Junge in Jeans, der aussah wie 13 aber einen Spruch führte, als wär er schon 30. „Sie sind von der Polente, was? Sowas seh ich gleich. Haben’s einen Haussuchungsbefehl?“
„Das nenn ich eine vielsagende Begrüßung.“ sagte Rau. „Nein, wir kommen in einer Ermittlungssache. Sie sind doch ein Freund von Alois Stigl!“
„Ja sicher, aber der ist nicht hier. Spielen’s also woanders Räuber und Gendarm.“ entgegnete Kaiser und wollte schon die Tür schließen, als Jumbi seinen Fuß dazwischen stellte und forsch verlangte: „Riskier mal keinen Kieferbruch, Kleiner!“ Worauf Kaiser erwiderte: „Wer so redet, muss bald mit einem zweiten Veilchen rechnen!“ Drauf wieder Jumbi noch forscher: „Du solltest den andern sehen. Der liegt auf der Intensivstation!“ Wobei bei dieser Behauptung einige Speicheltröpfchen auf Kaisers Anlitz spritzten.
Kaiser schluckte kurz und wischte sich die nasse Sprache ab. „Warum gehen Sie nicht zu Eberhard Watzke? Der wohnt in der Schnirchgasse 37 im Parterre und pflegt dort eine Hanf-Plantage. Womöglich hat er sich mit Ali gestritten. Ich weiß wirklich nicht, wo das Kellerkind sonst herumkugeln könnte.“
„Na gut.“ sagte Jumbi und nahm seinen Fuß aus dem Türspalt. „Aber wenn wir dort keine erschöpfende Auskunft erhalten, kommen wir wieder.“
„Ich fang schon mal zu zittern an!“ höhnte das Früchtchen und schlug die Tür zu.
„Sollte der nicht um diese Zeit die Post austragen?“ fragte Rau mehr sich selber.
„Wahrscheinlich ist er im Krankenstand oder die ganze Post kugelt bei ihm daheim herum.“ antwortete Jumbi. „Wär eine Erklärung, warum ich noch immer keine Antwort auf meinen Liebesbrief an meine Freundin in Deutschland habe.“
In der Schnirchgasse machte sich im Parterre schon ein süßlicher Geruch breit. „Riecht fast wie Shit!“ wusste Jumbi. „Kenn ich aus meinem Holland-Urlaub.“
Auf Rau’s Klopfen öffnete ein ebenfalls sehr junger Mann in einem Holzfäller-Hemd und guckte fragend. „Wir suchen Alois Stigl! Wissen Sie, wo er sein könnte?“
„Na!“ Schon wollte auch er die Tür wieder zumachen, doch diesmal stellte Rau seinen Fuß dazwischen und rief kurz drauf: „Aua!“
„Tschulgen! Aber was müssen’s auch ihre Stelze dazwischen stell’n.“
„Jetzt hör mal zu, Pursche!“ schrie ihn Jumbi an und wieder spuckte er mehr unabsichtlich seinem Widersacher ins Gesicht, während er ihn am Hemdrevers packte. „Wir interessieren uns nicht für deine Shit-Plantage, sondern suchen Ali, weil sich seine Omi große Sorgen um ihn macht!“
„Nicht brutal werden, Alter! Ich weiß nicht, wo Ali ist, aber ich glaub‘, er hatte mit vielen Leuten Krieg. Besonders mit Burgwart Tanka. Der wohnt gleich vis-a-vis auf Tür 13. Ich hab mit Ali nur ein paar Joints geraucht. Wir leben beide von der Mindestsicherung. Da kann man sich kein andres Vergnügen leisten.“
„Man kommt sich vor wie ein Ping-Pong-Ball.“ beanstandete Rau. „Aber solang wir noch keine Leiche haben, können wir die alle nicht zum amtlichen Verhör bestellen.“
Burgwart, ein etwas älterer ‚Knabe‘ in einem Camouflage-Anzug, ließ die beiden ohne weiteres eintreten, hörte sich ihr Begehr an und drückte sich danach sehr gewählt aus: „Bedaure, aber ich kann Ihnen zu Alis Aufenthaltsort keine näheren Angaben machen. Und Omis sind immer so überfürsorglich. Vielleicht ist er einfach verreist, ohne irgendwem Bescheid zu geben.“
„Worum drehte sich denn Ihr Streit mit ihm?“ wollte Rau wissen.
„Er wollte in meiner Band mitspielen. Nur, weil er von seinen Verwandten eine Posaune geschenkt bekommen hat. Aber wir spielen Heavy Metall, da passt doch keine Posaune rein, außer die von Jericho.“
„Ja, aber kennen Sie nicht Jethro Tull? Da spielt Ian Anderson wundervoll die Flöte.“ wandte Rau ein.
„Sicher, aber Ali spielt wie Rembrandt. Besser, er hätte zu malen begonnen.“
Ratlos zogen sie wieder ab und Rau beschloss, mit Jumbi mal die Wohnung von Alois zu besuchen. Laut Meldeadresse logierte er in der Rabengasse 17. Dort angekommen, fanden sie seine Wohnungstür nur angelehnt. Mit ungutem Gefühl betraten sie seine ziemlich modern eingerichtete Bleibe und fanden sie menschenleer vor. Das Festnetz-Telefon läutete und Rau hob ab.
„Ja bitte?- Ach, Sie sind es, Frau Stigl. Ich befinde mich gerade in der Wohnung Ihres Enkels und wir haben schon eine heiße Spur.“ log er, während sich Jumbi im Badezimmer umsah und einige gerauchte Joints in der Toilette vorfand. „Sobald wir ihn gefunden haben, rufe ich Sie sofort an. Versprochen!“
Da kam Jumbi eine Idee: „Vielleicht hat der seine Plantage im Keller!“
Im Keller fanden sie ein Abteil aufgebrochen und darin lag, fein verschnürt, der gesuchte Alois mit einem dicken Knebel im Mund. Hilflos zwinkerte er ihnen zu und Rau befreite ihn von dem zusammengeknüllten Socken, worauf Ali erleichtert japste: „Uff! Länger hätt‘ ich’s nimmer ausg’halten!“
„Ja, Sie brauchen uns auch gar nicht sagen, wer Sie so toll verpackt hat.“ eröffnete ihm Rau und holte sein Handy aus der Hosentasche, um die besorgte Omi anzurufen.
„Genau!“ stimmte Jumbi zu. „Ich weiß auch, wer’s gewesen ist.“
WER?
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