In ihrem Leben verschränken sich Armut und Aufmüpfigkeit gegen Windmühlen wie zwei Hände, die eingegipst sind. Wohnhaft in einem Gemeindebau, der zurzeit saniert wird, was Höllenlärm verursacht und sowieso nur Kadaverkosmetik darstellt, flüchtete sie vorm sozialen Total-Verfall ins Kunsthistorische Museum, um etwas Ruhe zu finden. Doch, oh ach und weh, dort wurde sie von einem brünstigen Herrn, welcher aussah wie Woody Allens Bruder, mit dem Ellbogen in die Wasserseite gestoßen und dummdreist angemacht. Just vor einem Bildnis des biblischen trunkenen Lots mit seinen Töchtern frohlockte er: „Heissa sprach der alte Lot, heissa meine Frau ist tot!“ – Das fand sie gar nicht lustig und eilte wieder in ihr lautes Heim, wo ein Hämmern, Schrauben und Krachen ihr das Leben schwer machen. Dagegen ist sogar das Stöhnen und Schreien ihrer Nachbarin, die sich wahllos Männer mit heimbringt - im Wienerischen auch Nudelfriedhof genannt - ein Ohrenschmaus. Jedenfalls fand sie daheim ihr Meerschweinchen Fräulein Lotti tot im Käfig auf. Wahrscheinlich verendete das arme Vieh durch Herzinfarkt nach Schock über den infernalischen Baulärm. Sie machte sich nun traurig auf, das geliebte Haustier im Prater würdig zu bestatten. Auf dem Weg dahin wurde sie von einer Frau angebettelt. Susi ärgerte sich, da sie erstens echt arm und zweitens auch gar nicht bei Kasse war, und sagte zu der Bettlerin: „Schau ich so reich aus? Gehen Sie doch zu den Geldleuten. Wir sind eh in der Reisnerstraße, da sind jede Menge Botschaften, kommen Sie mit, ich zeig Ihnen wie das geht!“ Sie führte die neugierig gewordene Frau zur Deutschen Botschaft, betätigte den Klingelknopf und rief in die Sprechanlage: „Ja, hier ist eine Bedürftige, die mit dem Botschafter sprechen will.“ – Draufhin enteilte die Bettlerin und Susi stand allein dumm da, als ein Wachmann zu ihr kam. Mit der toten Meersau im Plastiksackerl erklärte sie ihm die Situation und endete mit den Worten: „Jetz ist die Deppate weg, vielleicht hätt‘ ihr ja der Botschafter wirklich was geben!“ Wieder erntete sie nur einen Blick, als wollte der Uniformierte fragen, ob sie ihre Medikamente nicht eingenommen hat.
Endlich im Prater angekommen, begann sie mit den Bestattungsarbeiten, wobei sie - in Ermangelung einer Schaufel - mit einem großen Suppenlöffel ein kleines Grab aushob. Da erschien ein Exhibitionist - im Volksmund auch Nudelreiber genannt - und begann mit unzüchtigen Handlungen. Erzürnt zückte Susi nun ihr Schiedsrichter-Pfeiferl, welches sonst immer neben ihrem Festnetztelefon abhängt, um obszönen Anrufern Tinnitus zu verursachen, und blies schrill hinein, was das Nudelaug tatsächlich vertrieb. Als sie mir das erzählte, warnte ich sie noch, niemanden zu erzählen, dass sie im Prater Fräulein Lotti vergraben hatte, denn es könnte jemand missverstehen und ihr die Polizei auf den Hals hetzen.
Doch sie war noch nicht fertig mit ihrer Tirade, denn als sie vom Prater heimkam, fand sie eine Benachrichtigung über einen RSB-Brief vom AMS vor. Also aufs Postamt gepilgert, um die Hiobsbotschaft in Empfang zu nehmen: ein Jobangebot für ein Call-Center. Ohne Zeit zu verlieren, machte sie sich auf den Canossa-Gang zum angegebenen Jobort, wo sie ein eingebildeter Fatzke mit schwarz gefärbtem Haar und gezwirbeltem, ebenfalls gefärbten Schnurrbart erwartete, unter den Augen tiefe dunkle Ringe, die von Krankheit -vermutlich der Leber- zeugten. Sein ausgemergelter Körper steckte in einem feinen Anzug und er saß vor einem Laptop in einer circa 75-Quadratmeter großen Altbauwohnung, die nur mit wenigen Computern und noch weniger Telefonisten (2) ausgestattet war.
Seine erste Frage bei Aufnahme ihrer Personalien, warum sie denn kein Handy hätte, beantwortete sie salopp: „Weil ich mich nicht von Multis zum Konsumtrottel degradierten lasse und Millionäre noch reicher mache.“ - Mitten in der hochnotpeinlichen Befragung stand er auf, eilte zum offenen Fenster im 1.Stock- sie dachte schon, er stürzte sich in Verzweiflung über so eine renitente Bewerberin hinunter- und guckte raus, wobei er Susi aufklärte: „Ich schau nur, ob ein Parksheriff in der Näh‘ is, weil mei BMW steht unten.“ Typisch, dachte sie, der Graf Bamsti fährt einen Protz-Wagen und sicher ist keiner da, der ihm ein Ticket dafür ausstellt. Am liebsten hätte sie ihn mit einem Tritt in seinen mageren Arsch hinunter zu seiner Puppenschaukel befördert.
Dann erklärte er ihr aufgeblasen seine tolle Geschäftsidee: „Wir verkaufen Werbeflächen auf LKWs zu einem Sonderpreis von 2000 € an Firmen. Und du (in Callcentern sind leider alle gleich per du) bekommst für jeden Abschluss 3 %!“ - „Tooolll!“ schwärmte sie mit verdrehten Augen. „Das sind ja ganze 60 €! Wenn ich also 12 Stunden brauche, um einen Blödsinn-äh- Geschäftssinnigen zu finden, bekomm ich pro Stunde also ganze 5 €. Aber was kriege ich, wenn ich keinen finde?“
„Nix! Suchst den Pferdefuß?“
„Das Pferd steht schon vor mir und hebt den Schweif, aber ich lass mich nicht bescheißen!“ verabschiedete sie sich. Der Trost, dass der sichtlich kranke BMW-Fahrer demnächst seine Augenringe mit einer Chemotherapie bekämpfen wird müssen, sei nur ein schwacher, verriet sie mir entnervt.
Ein
Zitat von Karl Kraus fiel mir ein aus den letzten Tagen der Menschheit: die
Lage ist hoffnungslos aber nicht ernst. Aber stattdessen munterte ich sie auf: „Denk
an den Boxer Rene Weller, der mal sagte: ich bin immer oben. Und wenn ich unten
bin, ist unten oben.“
Doch
sie erinnerte sich an ein Zitat von Bruno Bettelheim: Ich weiß nicht, wohin
Gott mich führt, aber wenn er diese Richtung beibehält, schlage ich vor, dass
er allein weitergeht.
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