Nach einem tiefen Atemzug gab Rau sein Insiderwissen preis: „Verehrte gnä‘ Frau, 98 % aller Morde spielen sich innerhalb des engsten sozialen Kreises ab. Die Täter sind Verwandte, Ehepartner, Freunde, Kollegen, Liebhaber- und Innen, Zufallsbekanntschaften, Saufkumpane oder Nachbarn der Opfer. Selbst Serienkiller bleiben nur in der eigenen Ethnie aktiv. Ich selber habe schon Mörder verhaftet, die wahre Engelsgesichter mit hitlerblauen Augen trugen. Sie können ganz sicher sein, dass Sie von keinem Flüchtling ermordet werden! Eher vom eigenen Enkelsohn!“ Daraufhin guckte sie ihn wie ein Kindergarten-Stoppel an, dem die Tante die Nicht-Existenz des Osterhasen offenbart. Ihr entsetzter Blick verfolgte ihn bei seinem stummen Abgang.
Rau fotografierte den tätowierten Schriftzug PACO auf Heislitz rechtem Unterarm, bevor er die Leiche abholen ließ und machte sich mit dem Foto bei schon sinkender Sonne und hohen Temperaturen von einem Tätowier-Studio zum nächsten.
Schon beim dritten wurde er fündig. Der Chef des Studios, ein stämmiger Mann namens Samuel Stachl, erinnerte sich an Paco: „Das war doch dieser Nerd, der aussah wie ein Grottenolm. Erzählte mir, er hätte zahlreiche Games erfunden, wie zum Beispiel Refugees-Rejection wo man Flüchtlinge im Meer samt Booten versenken musste, um 10 Punkte zu erhalten. Wenn sie es trotzdem an Land schafften, konnte man sie entweder erschießen, dafür gab’s 2 Punkte, mit Bio-Kampfstoffen zu Zombies umwandeln, dafür erhielt man 3 Punkte und für 5 Punkte musste man sie zu Terroristen umfunktionieren. Das hat er dann auf dem Dark-Net angeboten und gut damit verdient.“
„Na, das sind ja Neuigkeiten, die mir gleich eine ganze Tätergruppe erschließen!“ entfuhr es Rau, der für derlei Zynismus nichts übrig hatte.
„Falls Sie die Gutmenschen meinen, ich glaube kaum, dass die ihn deshalb gleich umbrachten. Er war übrigens nicht allein hier, sondern mit einer Puppe.“ offenbarte ihm Stachl, der bei dem Wort Puppe große Brüste bei sich andeutete, um sicherzustellen, dass der Kommissar verstand, dass es sich bei der Puppe um eine weibliche Person handelte. „Namen weiß ich keinen, aber auf ihrem Dekolleté prangte die Aufschrift Grazia. Vielleicht hilft’s Ihnen ja.“
Gegenüber dem Tätowier-Studio von Stachl befand sich eine Spelunke, die bei jungen und junggebliebenen Leuten sehr beliebt war. Das Spanky Flor, dem Rau gleich einen Besuch abstattete. Die Bedienung lümmelte an der Bar herum und bewegte nur den Kopf, als er eintrat. Das Lokal zeichnete sich durch diffuse Beleuchtung und dem Geruch von ranzigem Fett aus. „Einen Whisky!“ verlangte Rau, der sich vorkam wie ein Westernheld, der in den Saloon einkehrt. Im Schneckentempo ließ die müde wirkende Bardame das Feuerwasser in ein nicht mehr ganz sauberes Glas fließen, doch Alkohol hatte ohnedies eine desinfizierende Wirkung. „Bitteschön!“ flötete sie und setzte beim Servieren sogar ein gezwungenes Lächeln auf, das eine Zahnlücke offenlegte. „Sonst noch was?“
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