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Dienstag, 6. März 2012

Der Wohltäter

Die Anzeige HAUSRAT ZU VERSCHENKEN fesselte mein Auge, kaum dass ich den Blick auf das Schwarze Brett, das eigentlich kork-braun war, gerichtet hatte. Sie unterschied sich wohltuend von all den andern wie z.B.: Gebe Ihrem Kind garantiert erfolgreiche Nachhilfe in allem für 25 Euro die Stunde! oder: Putz Ihr Wohnung für nur lumpige 7 euro/in Stunda! oder: Verwöhne Ihren Luxus-Körper mit meinen kundigen Händen für 200/ halbe Stunde, und so weiter…. So beschloss ich also spontan, anstatt im Supermarkt meinen täglichen Einkauf zu tätigen, stante pede zur angegebenen Adresse zu pilgern. Auf dem Weg dorthin dachte ich, dass es sich beim Hausrat wohl um alten Plunder handeln würde, hoffte aber inständig irgendetwas Nützliches darunter zu finden. Aus dem nämlichen Haus eilte gerade ein feiner Herr, so wie ich selber, und umklammerte ein großflächiges Gemälde, auf welchem eine schöne grüne Landschaft, naturgetreu wiedergegeben, prangte. Selten sah ich zu dieser frühen Uhrzeit einen Mann mit so glücklichem Gesicht. Hmmm, dachte ich noch, da hat er wohl das einzig Wertvolle der Wohnung in Beschlag nehmen können. Doch im Stiegenhaus, das ich empor zum 4. Stock schritt, kam mir ein weiterer Herr mit einer teuren Tiffany-Lampe und einem Krokodilleder-Koffer entgegen. Da wurde ich stutzig: warum sollte jemand so edle Teile verschenken? Aus purer Nächstenliebe wohl kaum. Weil er sie nicht mehr gebrauchen konnte? Weil sie gestohlen waren? Oder aus Rache? Die Tür Nr. 23 stand weit offen, ich trat erwartungsfroh ein und sah die Wohnung in sehr gepflegtem Zustand, obwohl ein Ehepaar schon die Möbel etwas beiseite gerückt hatte, um den Perser-Teppich besser aufrollen zu können. Am geöffneten Fenster stand unbeteiligt wirkend ein alter Herr mit einem grauweißen Bart, der mich unwillkürlich an das Selbstbildnis des Malers Tintoretto im Louvre erinnerte, auf dem er ziemlich griesgrämig dreinblickt. Gekleidet in einen Kamelhaar-Mantel, die Hände in beigen Handschuhen vorm Körper wie zum Gebet gefaltet, stand er da und nickte mir kurz zu, als ich ihn höflich grüßte. Bevor ich noch zu einem der alten Bücher im Teakholz-Regal griff, stellte ich mich neben ihn, um zu erfahren, warum er denn um Himmels Willen all die tollen Sachen verschenken wolle. Eine Dame hatte im Schlafzimmer-Schrank einen Rotfuchs-Pelzmantel gefunden, schlüpfte rein und bewunderte sich ausgiebig im Spiegel auf der Innenseite der Schranktüre. „Also für den Mantel können Sie aber schon etwas verlangen!“ begann ich salopp das Gespräch mit ihm.
„Ach wozu denn, ich lebe nicht mal lang genug, um mein eigenes Geld ausgeben zu können.“ entgegnete er, beugte sich leicht aus dem Fenster und atmete tief die frische Morgenluft ein.
Grundgütiger, befürchtete ich, der will sich doch nicht etwa…. „Es geht mich zwar nichts an, aber Sie machen so einen robusten Eindruck, dass es eindeutig zu früh für Sie wäre, hier herunter zu springen.“ meinte ich.
„Was? –Ach, Sie denken, ich wolle Selbstmord begehen und mich vorher noch von meinem Eigentum trennen? Nein-nein!“ lächelte er mich an.
„Gottseidank, aber wenn jemand sein Hab und Gut unter die Geier-äh die Leute wirft, dann kommt man schon auf solche Gedanken.“                  
„Das ist gar nicht meine Wohnung!“ erklärte er noch immer lächelnd.  
Oje, durchfuhr mich der nächste skeptische Gedanke. Hatte er vielleicht den Schlüssel zur Absteige seiner untreuen jungen Frau gefunden? Oder wollte er einem lästigen Verwandten eine Lehre erteilen, der ihm die Schlüssel während des Urlaubes überlassen und ihn zum Blumengießen verdonnert hatte? Oder hatte er einen Geschäftspartner, der ihn-         
„Ich sehe, Sie kommen ins Grübeln.“ sagte er amüsiert, als könne er meine Gedanken lesen.
„Nun ja, man hört und liest so viel. Wie einmal eine Dame einen Cadillac für 5 Dollar verkaufte, weil ihr verstorbener Mann verfügt hatte, dass der Erlös aus dem Verkauf des Wagens seiner Sekretärin zufließen soll.“ erzählte ich eine alte Geschichte aus den USA und er lachte herzlich darüber.
„Pardon, aber könnten Sie beide etwas zur Seite treten?“ fragte die Dame im Pelz. „Ich möchte die Vorhänge abnehmen. Gibt’s hier eine Leiter?“
„Nein!“ antwortete der Bärtige. „Aber steigen Sie einfach auf den Tisch.“
„Aber machen Sie keine Kratzer rein. Der gehört schon uns!“ keifte die weibliche Hälfte des Ehepaars. „Ich habe schon den Möbelwagen bestellt.“
„Kommen Sie, wir gehen in die Küche.“ schlug der Bärtige vor und ich folgte ihm neugierig. Dort hatten sich schon 2 weitere Geier-äh Leute über die Bestecklade hergemacht. „Sieh nur, eine Geflügelschere!“ freute sich die Frau. – „Toll, jetzt brauch ich das Huhn nicht mehr mit deinen stumpfen Messern zerfleddern.“ freute sich der Mann.
„Also, ich nehme an, Sie haben diese Sachen geerbt und müssen die Wohnung auflösen?“ mutmaßte ich, den Blick noch immer auf die 2 Abräumer gerichtet, die in Windeseile Küchengeräte, Geschirr, Vorhänge und Tischtücher sicherstellten, damit ihnen nicht noch wer zuvorkommen konnte.
„Leider ja, meine Nichte ist im Spital verstorben. Es ging ihr entsetzlich schlecht.“ bekannte er und sein Lächeln verschwand wie wenn eine riesige Wolke die Sonne verdunkelt hätte.
„Tut mir sehr leid. Sicher Krebs?“ forschte ich mitfühlend.
„Nein, irgendeine unbekannte Krankheit.“ erklärte er und öffnete das Küchenfenster, welches ohne Vorhänge nun kahl und unwirtlich wirkte. „Es gibt so viele Krankheiten, aber nur eine Gesundheit. Die hat sie sich wahrscheinlich auf einer ihrer Tropenreisen zugezogen.“  Gierig sog er die noch kalte Luft des jungen Morgens ein.
 „Aha, sicher Malaria.“ vermutete ich, denn auch ich war weit gereist.
 „Nein, im Tropeninstitut war sie ja zuerst, aber dort konnte man den Grund nicht finden. Also ging sie ins AKH.“ seufzte er noch immer traurig. Aus dem Wohnzimmer drang ein Streit zu uns, es ging darum wer sich den Kristall-Lüster unter den Nagel reißen dürfe. Es fielen Worte, die ich nicht wiedergeben will.
„Und im AKH konnte man ihr auch nicht helfen?“ fragte ich weiter.
„Nein, einer der Ärzte meinte, es wäre so was Ähnliches wie Tuberkulose. Und, dass er für die Entdeckung der Erreger noch den Medizin-Nobelpreis bekommen werde.“
„Ach…TBC… Ihre Nichte hatte also etwas Ansteckendes.“ In mir schrillten die Alarmglocken. Besonders die offene TBC war teuflisch ansteckend.
„Tja, stellen Sie sich vor, dieser Arzt regte sogar an, all ihr Eigentum zu verbrennen.“ flüsterte mir der Bärtige verschwörerisch zu. „Aber das konnte ich nicht. Sehen Sie nur, wie viel Freude man andern Menschen damit machen kann.“ Sein Lächeln kehrte wieder, das man nur als sardonisch bezeichnen konnte.

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