Regen in Wien erinnerte Kommissar Rau an seinen
letzten London-Urlaub: Superstadt aber Sauwetter! Eben schlürfte er seinen Morgenkaffee aus einem Plastikbecher, als ihn sein Telefon aus den verwaschenen Erinnerungen holte. "Hallo Herr Kommissar! Hier spricht Mario Belzo. Sie werden sich vielleicht erinnern, da Sie mich ja mal als Messermörder in Verdacht hatten."
"Ah, der Mord mit dem Käsemesser! Was gibt es Neues?"
"Eine Katastrophe!" seufzte Belzo. "Ich habe vor einigen Monaten das Hotel Roter Hahn im 3. Bezirk gekauft. Nun ist mir doch einer meiner Gäste...(er schluckte) unglücklich verstorben. Können Sie bitte unverzüglich allein herkommen? Bitte, ich äh-möchte kein Aufsehen! 2. Stock, Zimmer 12!"
"Na schön, bin in einigen Minuten bei Ihnen!" Rau rief sich den Typ in Erinnerung: Ende 40, soignierte Erscheinung, beginnende Stirnglatze, hektische Bewegungen und immer zusammengekniffene Augen, als würde ihn die Sonne blenden oder er eine Brille benötigen. Damals war er unschuldig, obwohl er mit dem Opfer Streit hatte.
Um 8 Uhr 9 betrat Rau das besagte Hotel und ging am Portier vorbei. "Wohin der Herr?" fragte der und musterte den Neuankömmling.
"Ihr Chef erwartet mich auf Zimmer 12!" sagte Rau und dachte sich beim Anblick des weißhaarigen Portiers, dass sich dieser wohl seine Rente aufbesserte. Die Tür zum Hotelzimmer stand offen und Belzo wischte sich eben mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirnglatze, die seit seinem letzten Zusammentreffen mit Rau noch gewachsen war. "Herr Belzo, Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen!"
"Ich habe einen Toten gesehen. Da sitzt er vor dem abgeschalteten Flat-TV und wurde scheinbar mit einer kleinkalibrigen Waffe in den Kopf geschossen. Als ich die Misere sah, hab ich sofort an Sie gedacht. Dass Ihnen damals nur durch geschicktes Befragen aller Verdächtigen gelang, den Mörder ausfindig zu machen, hat mir mächtig imponiert. Wissen Sie, ich will doch baldmöglichst ein 4-Stern-Hotel aus dem Betrieb machen und das gelingt mir kaum, wenn hier eine Hundertschaft von Polizisten herum wimmelt!"
"Na Sie haben Nerven! Im Angesicht des Todes eines Ihrer Gäste denken Sie nur an das Prestige Ihres Neo-Hotels." kritisierte ihn Rau, während er den Erschossenen näher in Augenschein nahm. Mitten auf dessen Stirn klaffte ein kleines Loch, was zur Schlussfolgerung anregte, dass der Täter wenig Dreck machen wollte. Eine 22er vermutete Rau, denn damit konnte man sichergehen, den Kopf nicht zu durchbohren und an der Wand einen Riesenblutfleck zu hinterlassen. "Ist Ihnen klar, dass ich auch Sie wieder als Verdächtigen in meine Ermittlungen mit einbeziehen muss?"
"Völlig! Aber ich verlasse mich auf Ihre Spürnase. Also: er hieß Martin Cases, kam aus Meran und war Vertreter für Wasserfilter. Gestern wollte er mir auch für jeden Wasserhahn einen andrehen, was ich aber ablehnte. Er wollte Punkt 8 Uhr mit einem kleinen Frühstück geweckt werden, das ich ihm persönlich brachte, da ich noch Personalnotstand habe." Auf dem Tisch vor dem Toten stand ein Tablett mit einer Tasse dampfenden Kaffee und einem Teller mit einem Croissant. "Als er auf mein Klopfen nicht öffnete, kam ich rein - die Tür war unversperrt - und erlitt den Schock meines Lebens. Ich bin sofort runter zum Portier, ein Pensionsanwärter, der an Schlaflosigkeit leidet, und fragte, ob jemand während der Nacht hier war. Nein, keine Vorkommnisse. Die Nacht war außergewöhnlich ruhig. Da muss ein Profi mit einem Schalldämpfer am Werk gewesen sein und ich vermute, er ist noch hier im Hotel, einer der Gäste, denn um raus zu gelangen, hätte er am Portier vorbei müssen, oder durch unautorisiertes Öffnen der Fenster die Alarmanlage auslösen."
"1A-Bericht!" lobte Rau. "Wer wohnt sonst noch hier?"
"Ein Professor Börne, Zimmer 10, ein Herr Dufkin auf Zimmer 6 im ersten Stock und eine Frau Elisch auf Zimmer 5. Alles ehrenwerte Leute, soweit ich das einschätze."
Rau klopfte auf Zimmer 10, worauf ein Mann im blauen Seiden-Pyjama öffnete und sich seine Brille aufsetzte. "Sagen Sie mal, guter Mann, sind Sie des Lesens nicht mächtig? Ich diktierte doch Ihrem Rentner unten in der Portiersloge, dass ich erst um 9 Uhr geweckt werden möchte und zwar mit einem Wiener Frühstück!" Trotz seines zerzausten Haares machte der Professor einen sehr gepflegten Eindruck.
"Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, aber Ihr Zimmernachbar wurde leider Opfer eines Verbrechens. Kopfschuss, und da muss ich natürlich (er zeigte ihm seinen Ausweis) fragen, ob Sie etwas gehört haben."
"Na ich muss schon sagen... in Russland werden die Leute auf offener Straße erschossen und hier in Wien diskret im Hotelzimmer. Da merkt man doch gleich, dass man in einer Kulturhauptstadt logiert." mokierte sich Börne und gestikulierte abwehrend. "Und nein, ich habe weder etwas gehört noch gesehen. Irgendwie erinnern Sie mich an einen Kollegen von Ihnen in Münster, wo ich als Gerichtsmediziner tätig bin, und diesem Kommissar auch immer wieder mal zur Seite stehen muss. Der wirkt genauso hilflos wie Sie."
"Was ist denn der Grund Ihres Besuches in unserer sonst so ruhigen Stadt?" forschte Rau, während draußen vorm Hotel mit hörbar lauter Sirene die Feuerwehr vorbei raste.
"Wie, Sie wissen nichtmal von dem Medizinerkongress, der morgen über die Bühne geht?" Verschmitzt blickte Börne an Rau rauf und runter.
"Nein, ich weiß nur von einer KAV-Ärzte-Demo am Donnerstag vorm Rathaus." erwiderte dieser und versuchte den überheblichen Blick Börnes zu spiegeln.
"Dort bin ich morgen nach dem Kongress zur Weinverkostung." erklärte Börne.
"Freude, Mäßigkeit und Ruh schließt dem Arzt die Türe zu!" meinte Rau und zog die Tür vor Börnes Nase zu. So ein arroganter Asch, dachte er noch, als er Börne hörte: "Aber der Tod schließt Ihnen die Augen zu und dann landen Sie auf meinem Tisch!"
"Nur wenn ich das Pech habe in Münster zu sterben!" rief Rau und ging ein Stockwerk tiefer. Die Tür 6 öffnete ein Mann in einer Calvin-Klein-Unterhose. "Herr Dufkin, ich störe nur ungern, aber leider geschah im Zimmer über Ihnen ein Mord. Haben Sie einen Schuss gehört?" Wieder präsentierte Rau seinen Ausweis.
Dufkin hob die buschigen Augenbrauen, er hatte leichte Ähnlichkeit mit dem jungen Sean Connery. "Heut Nacht? Ne, wirklich nicht, aber ich schlafe wie ein Toter." Barfuß schlurfte er ins Zimmer und Rau folgte ihm. Das Bett sah zerwühlt aus und Dufkin schickte sich an ein Fenster zu öffnen, hielt aber inne und fragte: "Ist es schon 8? Da wird nämlich die Alarmanalage abgeschaltet und man kann das Fenster aufmachen. Hier mieft es ganz schön nach Mottenkugeln."
"Tun sie sich keinen Zwang an." meinte Rau und wartete bis das Fenster offen war. "Sind Sie beruflich in Wien?" Dufkin schien sehr durchtrainiert zu sein.
"Ne! Bin mal hier und mal da. Beruflich lass ich das Geld für mich arbeiten."
Rau grinste: "Versuchen Sie mal einem Hunderter Spitzhacke und Schaufel in die Hand zu drücken, dann sehen Sie, dass Geld nicht arbeiten kann!"
"Da hab ich andre Erfahrungen. Falls Sie auf die nächste Finanzkrise anspielen: man muss nur rechtzeitig abspringen." erklärte Dufkin und schlüpfte in seine Jeans.
"Und Sie wissen die rechte Zeit?"
"Oh ja! Ich hab immer ein Super-Timing!" prahlte Dufkin und lächelte überlegen.
"Haben Sie mit Herrn Cases gestern noch gesprochen?"
"Nein. Ich hab ihn nur kurz gesehen." murmelte er und zog sein Hemd an.
"Was hatten Sie für einen Eindruck von ihm?" erkundigte sich Rau.
"Mich interessieren andre Leute nicht."
"Was denken Sie treibt einen Menschen dazu jemanden im Hotel zu töten?"
"Keine Ahnung! Aber ich weiß, dass auf jeden einzelnen mindestens zwei kommen, die ihn tot sehen wollen."
Der redet freiwillig nur das Nötigste, erkannte Rau und besuchte Frau Elisch auf Zimmer 5, welche eine elegante Dame um die 30 war und ihn bereits voll bekleidet empfing. "Nein wie schrecklich, da lebt man im selben Hotel und weiß nichts voneinander. Warum wurde der arme Mann wohl getötet? Vielleicht hat er Selbstmord begangen aus Angst vor dem Tod?"
Rau fragte sich, ob das nun als Witz gemeint war oder die Dame geistig abgehoben sei.
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