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Montag, 22. August 2011

SOMMER DER ERKENNTNIS

Wenn ich eins gelernt habe, dann dass Verwandte immer Ärger bedeuten. Entweder man hat mit Ihnen Zoff oder wegen ihnen. Mein Verhängnis begann, als ich meinen jüngeren Halbbruder wiedertraf. Seinetwegen bin ich immer benachteiligt worden, obwohl ich der Bravere von uns beiden war. Aber die Menschen wollen ja belogen und betrogen werden und lieben jene miesen Bastarde, die ihnen schlaflose Nächte bereiten.
Nichtsahnend lag ich auf einer Bank im Ost-Park, wieder mal arbeitslos, weil ich gegenüber dem Chef meine ehrliche Meinung geäußert hatte, und genoss die Sonne, die ihre wärmenden Strahlen Gottseidank noch gratis zu uns runter schickt. Da tippte mir Hellfried, vulgo Hell-Boy, freundlich auf den blanken Bauch. Ich schob meine Baseball-Kappe zurück und freute mich sogar, ihn unverhofft nach Jahren wieder zu sehen.
„Hallo Rudbert, mein Brüderchen!“ begrüßte er mich. „Siehst ja gut aus, dafür dass du immer die Prügel kassiert hast, die ich eigentlich verdient hätte.“
„Alter Schwede!“ ließ ich erstaunt über seine seltene Aufrichtigkeit verlauten. „Manchmal hätte ich dich erwürgen können. Was machst du denn hier? Das letzte Mal, als ich mit unsrer Mutter telefoniert habe, sagte sie, du verbringst deine Sommer meist auf  Hawaii.“
„Rudbert, ich hab die Welt durchschaut.“ flüsterte er mir verschwörerisch zu und setzte sich neben mich, der immer noch in Rückenlage war. „Es ist viel einfacher, als ich dachte, so ähnlich wie im Film Matrix.“
„Ach? Willst du mir jetzt die blaue oder die rote Pille anbieten?“ fragte ich und dachte, der will mich erheitern, denn früher hatte er viel komödiantisches Talent. Mimte vor allem dann den Clown, wenns für ihn eng wurde.
„Ich schwöre dir, es klingt unglaublich, aber es gibt jemanden, der uns alle programmiert so wie die Sims.“
Nun richtete ich mich auf und sah mein eignes unrasiertes Gesicht in seiner verspiegelten Sonnenbrille, die er abnahm und wieder seinen unschuldigen Ich-wars-nicht-Kinderblick aufsetzte. „So?“
„Jaa!“ rief er, senkte aber sofort wieder seine Stimme. „Durch eine Reihe von Unfällen bin drauf gekommen, sie führten mich direkt in die Nähe eines Software-Technikers, der in …..“ Nun wandte er sich nach allen Seiten um, scheinbar auf der Suche nach unerwünschten Zuhörern.
„Machs nicht so spannend, Helli!“
„Pst!“ mahnte er und wirkte nun irgendwie gehetzt und viel älter als 28. Der sollte ab und zu zur Entspannung ein Tütchen rauchen, dachte ich noch. Doch für verbotene Substanzen hatte nur ich von uns beiden die Veranlagung geerbt. Unsre liebe kettenrauchende Mutter verteilte ihre guten Gene leider nur sparsam.
„Pass auf, Rudbert, ich verrate dir, wie du dein Leben ändern, das heißt umprogrammieren lassen kannst. Als Entschuldigungsgeschenk für die schwere Jugend, die du durch mich hattest.“
„Da bin ich aber mal gespannt wie Omas rosa Regenschirm. Erinnerst du dich noch, wie du damit vom Balkon gesprungen bist und mir die Schuld am Beinbruch in die Schuhe schobst.“ Du Bastard, dachte ich, Vater und Mutter werd‘ ich mal vergessen, aber dich nie. „Und als du mir meine erste Freundin wegschnapptest mit der Behauptung, ich sei nur deine Nachgeburt.“
 „Jaja, hör zu, denn ich dürfte dir das eigentlich nicht verraten.“ Man sah ihm an, dass er mir ungern einen Zettel zusteckte. „Lern die Adresse auswendig.“
Auf dem zerknitterten Papier stand eine Adresse im Elsass, wo wir vor über 20 Jahren mal mit Mutter auf Urlaub waren. Die ausnehmend schöne Landschaft wird mir noch in Erinnerung bleiben, selbst wenn mich Herr Alzheimer dereinst heimsucht. Kurz lebten wir wie Gott in Frankreich.
„Hast du es?“ fragte er und als ich nickte, entriss er mir den Zettel schnell. „Du wirst dort von 2 Rottweilern erwartet, die kannst du mit den richtigen Codewörtern ausschalten: „Pontius exit und Pilatus exit! Dann gehst du zur Tür und tippst den Zahlencode ein: 70 21 42. Alles verstanden?“ Nach meinem Nicken wollte er schon weg.
„Warte! Wie geht es dann weiter?“
„Kein Wort von mir, sonst verlieren wir beide unsre Existenz. Du sagst, du hättest sein Spiel durchschaut und wolltest ein besseres Leben. Alles weitere kannst du dir aussuchen. Versuchs an einem Freitag.“ Ohne Abschied eilte er in seinem 2000-Euro-Maßanzug davon, als wär der Teufel hinter ihm her.
Nach einer Stunde fragte ich mich, ob ich das alles nur geträumt hatte, konnte mich aber sowohl an die Adresse als auch an die Codewörter und den Zahlenschlüssel exakt erinnern. Dann ärgerte ich mich, dass er mir nicht das Fahrgeld für die Reise von Frankfurt nach Frankreich gegeben hatte. Nicht mal die Holzklasse, einen einfachen Linienflug, hat der mir spendiert. Aber er gehörte halt zur Kategorie jener Aasgeier, die ihren Opfern sogar die Amalgam-Plomben aus den Zahnruinen pickten. Also musste ich wohl oder übel Autostoppen. Wäre ich ein blondes Model gewesen mit 1,20-Meter-Beinen in Shorts, die im Schritt offen sind, hätte es sofort einen Auffahrunfall gegeben, aber als männlicher Asphalt-Hippie wartete ich circa 2einhalb Stunden ehe ein einsamer Trucker hielt, der diesen Models wohl zu wild aussah und musste mir seine (erfundenen?) Sexabenteuer anhören. Noch obszöner als die feuchten Stoßgebete der knirpsigen Fernsehtante, die immer blöd labernd in komischen Puppenkleidchen, als fleischgewordener Pädophilen-Traum, aufgetreten ist, ehe sie nurmehr einem Produzenten zwischen Puffbesuchen das Standgebläse mimte. Tja, nur ein Schwanzlutscher hat in der Branche Erfolg!
Mich taub stellend äugte ich aus dem Fenster und erfreute mich an der endlich auftauchenden einst heißumkämpften Landschaft des Elsass mit seinen wunderschönen Tannenwäldern der Vogesen und den Fachwerkhäusern der malerischen Städtchen in der Ebene zwischen den Bergen und dem Rhein. Das letzte Stückchen zum Ziel humpelte ich zu Fuß, obwohl die Sonne gnadenlos von einem wolkenlosen Himmel herunterbrannte. Aber was tut man nicht alles für ein lebenswertes Dasein und dank Hellfrieds Tipp schien nun auch meine Zeit gekommen und der Weg zum Erfolg frei ganz ohne unappetitliche Extras.
Nahe des Klosters Murbach fand ich das abgelegene umzäunte Grundstück, wo mir 2 kläffende Kampfhunde - so groß wie Kälber aber mit breiteren Schädeln - entgegen liefen, die jeder 400-Kg-Bisskraft entwickeln konnten. Und ich hatte weder eine Bockwurst noch Aspirin bei mir. Hemdsärmelig stand ich in schmutzigen Jeans und ausgelatschten Sneakers zerlumpt wie ein Bettler da.
„Pontius exit!“ befahl ich, worauf beide Rottweiler sofort verstummten und sich einer davon hinsetzte. Als ich auch Pilatus den Exit-Befehl gab, setzte sich auch der zweite. Trotz Hitze hechelten sie nicht. Der mit Stacheldraht verbrämte Zaun war weder elektrisch noch besonders hoch, ich kletterte rüber und lief auf dem Kiesweg knirschenden Schrittes zur Tür mit dem Emblem J. Ch., wo ich die richtigen Zahlen eintippte. War das ein Geburtsdatum verkehrt rum, dachte ich noch, 24.12.07 ….  Jesu Christi Geburt? Ja wenn der Software-Techniker Gott war, hatte er sich hier ein paradiesisches Plätzchen ausgesucht.
Mulmigen Gefühls schlich ich rein ins karg aber sündteuer möblierte Haus, in dem es nach Weihrauch roch. Aus einem der Zimmer hörte ich die typischen Computer-Geräusche. Dort angekommen, spähte ich durch die offene Tür und erblickte einen circa 30-jährigen Mann mit längerem dunklen Haar, der fortwährend auf die Tastatur einhämmerte. Zum Glück hatte er keinen Bart, sonst wär ich vor Ehrfurcht gestorben und hätte kein Wort herausgebracht.
Entschlossen trat ich ein und sagte mit fester Stimme: „Entschuldigung, ich habe Ihr Spiel durchschaut und möchte ein besseres Leben bitte!“
Daraufhin erschrak er, drehte sich in seinem Stuhl zu mir um - er trug bequeme weiße Shorts und ein rotes T-Shirt - und fragte perplex: „Was?“
Freundlich wiederholte ich mein Anliegen und präzisierte dabei: „Wenn es nicht zu viel Mühe macht, will ich auch ein Haus hier mit Swimming-Pool, einen Audi Quattro und ein 500.000-Euro-Konto bei der UBS.“
Der Langhaarige runzelte die Stirn und sah mich an wie ein Gespenst, fragte mit französischem Akzent: „Wer hat Sie zu mir geschickt?“
Das durfte ich um keinen Preis verraten, also eröffnete ich ihm: „Durch eine Reihe von Zufällen bin ich selber drauf gekommen.“
„Ihre Forderung ist ziemlich unverschämt.“
„Ich hatte bisher hauptsächlich Pech und will das nun ändern.“ erklärte ich und ließ nicht mit mir handeln.
„Irgendwer muss Ihnen doch die richtigen Codes genannt haben, um zu mir vordringen zu können.“ beharrte er.
„Niemand!“ versicherte ich ihm, während hinter ihm der Computer bzw. das Programm abstürzte, denn am Bildschirm stand ERROR.
„Merde! Jetzt ist die Arbeit von 3 Monaten perdu!“ fluchte er und ich erkannte, dass das nicht Jesus sein konnte, denn er stürzte sich blindwütig auf mich und wir kämpften kurz. Die Jahre vorm PC haben seine Muskeln verkümmern lassen, denn er verlor …. sein Leben. Stöhnend öffnete er den Mund und wollte noch was sagen, doch nur Blut kam heraus. Tja, wen die Götter lieben, lassen sie jung sterben.
Wie von Sinnen zog ich dem Toten, der wie gekreuzigt vor mir lag, das T-Shirt aus und wischte damit alles ab, was ich hier berührt hatte, sogar den Zaun an jener Stelle, die ich überklettert hatte, und steckte noch 4000 Euro ein, die ich in einer Schublade im Schlafzimmer fand. Dann kleidete ich mich noch in seinem begehbaren Schrank neu ein, bevor ich flüchtete. Nie werde ich den traurigen Blick der beiden Hunde vergessen, als ich so unauffällig wie möglich den Tatort verließ. Das dumpfe Gefühl des Reingelegt-worden-seins übermannte mich. Dazu gesellte sich noch eine Paranoia, denn jeden, dem ich begegnete, verdächtigte ich, von meinem Verbrechen zu wissen. Meine alten Sachen und das Putz-T-Shirt ließ ich in einem Abfalleimer am Straßenrand circa 3 Kilometer vom Grundstück verschwinden.
In der Zeitung ‚Le Monde‘ las ich mit meinen dürftigen Schul-Französisch-Kenntnissen 2 Tage später vom Tod des populären Software-Entwicklers Jerome Christian, der Opfer eines Einbruches geworden war. Just an einem Freitag, wo seine Frau immer zu ihren Eltern nach Paris fuhr. Sie fand ihn erst Sonntag mit eingedrücktem Kehlkopf vor. Quelle Malheur.
Er arbeitete für eine weltbekannte Firma. Seinen Posten bekam  ..… ja raten Sie mal. Ich geb Ihnen einige Tipps: er ist mit mir verwandt, er hat sich in mein ohnehin schon armseliges Leben eingemischt, ohne dass ihn jemand darum ersucht hat, er ist immer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht und er sieht immer zum Kotzen reich aus, der Drecksack. Ach ja, und der Name des Kretins, der beginnt mit H!


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