Apparat auf Abwegen
Ich lernte den Professor bei einem Vortrag kennen. Er
kam mir gleich etwas komisch vor, aber dann dachte
ich, na gut, der ist eben ein sehr zerstreuter Professor.
Auch war ich zu dieser Zeit selbst etwas außer
mir, denn ich hatte Probleme bei der Scheidung.
Deshalb war ich auch so abgelenkt, dass mir erst zu
spät auffiel, dass die Erfindung des Professors äußerst
gefährlich sein könnte.
Doch ich greife vor, zuerst mal möchte ich noch
auf den Vortrag zu sprechen kommen – wie hieß noch
gleich der Titel? Ah ja, es war „Der Einfluss von Unterhaltungselektronik
auf das Verhalten vorpubertärer
Kinder“. Das interessierte mich sehr, denn mein Sohn
war in dem Alter, wo Kinder den iPod mehr liebten
als die eigene Mutter. Also, dieser Professor, Hwakins
buchstabierte er seinen Namen, nachdem ich fragte,
ob ich ihn falsch verstanden hätte, erzählte mir, dass
er in seiner kargen Freizeit immer an Erfindungen
zum Wohle der Menschheit bastelte. So begann unsre
langjährige Bekanntschaft, denn zu einer Freundschaft
sind so geniale Menschen selten fähig.
„Sie werden es mir vielleicht gar nicht glauben mögen“,
begann er damals das Gespräch mit mir, „aber
ich habe eine Art Zeitmaschine erfunden.“
„Was heißt eine Art?“ erkundigte ich mich. „Kann
man damit durch die Zeit reisen oder nicht?“ Insgeheim
hatte ich ihn schon als armen Irren abqualifiziert.
„Najaaa…“ druckste er herum. „So wie man es
in den Filmen sieht, natürlich nicht. Man kann damit
nur in die Zukunft reisen und leider nicht wieder
retour.“
„Wieso? Wenn man in die Zukunft reisen kann,
dann muss man auch in die Vergangenheit reisen können,
oder zumindest zum Ausgangspunkt zurück!“
Stumm schüttelte er den Kopf und griff sich mit einer
Hand wie weiland Napoleon in die schäbig schwarze
Sakkojacke, die aussah, als wäre sie nach dem zu
heißen Waschen nicht gebügelt worden.
Uneinsichtig hakte ich nach: „Wenn die Zeit eine
Linie darstellt, kann man sich darauf doch vor und
zurück bewegen.“
Das war ein Fehler, denn er begann mit einer Abhandlung
der ellenlangen Relativitätstheorie, die ich
mir nicht gemerkt habe und fügte dann volkstümlich
verständlich hinzu: „Man kann aus einem Aquarium
eine Fischsuppe machen, aber aus einer Fischsuppe
kein Aquarium. Verstehen Sie? Es ist nicht so einfach
alles wieder reversibel zu machen. Eine Rakete hat
auch keinen Rückwärtsgang. Ein Pfeil kann nicht
wieder in den Bogen zurückkehren. Die Zeit scheint
mehr eine Kurve oder Parabel zu sein, bedingt durch
die Krümmung des Raums vermittels sehr schwerer
massereicher Sterne. Man kann in die Vergangenheit
blicken, indem man durch ein Fernrohr den Himmel
beobachtet und das Licht längst verloschener Sterne
wahrnimmt und in die Zukunft reisen, indem man
eine Rakete ins All besteigt, damit dann wieder zurück
zur Erde kehrt und sehen kann, wie die ehemaligen
Zeitgenossen gealtert sind.“
„Jaja, die Story mit den Zwillingsbrüdern, von denen
einer nach einigen Jahren im Universum auf die
Erde zurück kommt und den Bruder als Greis vorfindet,
kenne ich.“ Schon wollte ich mich abwenden,
doch er hielt mich am Ärmel meiner Lederjacke fest
und schwärmte mir von seinem Apparat vor.
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„Besuchen Sie mich doch einfach mal. Dann führe
ich ihnen das Gerät vor, Sie werden aus dem Staunen
nicht mehr herauskommen.“
Kurz gesagt hatte er meine Neugierde geweckt,
und da ich damals schon von meiner Frau getrennt
wohnte, konnte ich machen was ich wollte und stattete
ihm alsbald einen Besuch ab. Es war etwas gruselig,
denn er wohnte einige Kilometer von Worms
entfernt, in einem beliebtem Ausflugsgebiet in einer
alten Mühle, die noch immer ans Wasserrad angeschlossen,
knarrte und krachte, ohne dass man dem
Mechanismus im Inneren irgend einen Sinn anmerken
konnte.
„Die Mühle habe ich von meinen Eltern schon vor
30 Jahren geerbt. Hier ist nun mein Apparat!“ Stolz
zeigte er auf eine Art Riesenspritze mit abgestumpfter
Spitze. Davor befand sich eine Kiste, die mich an
mein Seifenkisten-Vehikel aus Kindertagen erinnerte.
Der ganze seltsame Mechanismus stand auf Rädern
– besser gesagt Autofelgen, die auf einem circa
5-Meter-Stück Eisenbahn-Schiene standen. „In dem
Glasbehälter befindet sich dreimal destilliertes Wasser,
das immer sehr heiß wird, wenn ich etwas oder
jemand in die Zukunft befördere.“
„Woher wissen Sie denn, dass es die Zukunft ist.
Ich weiß schon, dass Sie nicht dran glauben in die
Vergangenheit reisen zu können, aber es gibt doch
keinen Beweis dafür. Weder für das eine noch fürs
andere.“ erklärte ich, immer noch den Blick auf das
futuristische Ungetüm geheftet.
„Mit einem Probanden habe ich vereinbart, dass
er, falls er wider Erwarten in der Vergangenheit gelandet
sein sollte, ein Zeichen für mich deponiert. Ein
Stück Holz, das er am Platz des Nibelungendenkmals
hinterlegen sollte.“
„Sie meinen, dort wo die Statue des Hagen von
Tronje das Gold reinwirft?“
Er nickte zufrieden. „Nachdem ich den Studenten
also mit der Apparatur versendet hatte, eilte ich sogleich
zum alten Platz des Denkmals im Stadtpark
und hielt nach dem Holz Ausschau.“
„Verzeihen Sie“, wand ich ein, „aber wenn der arme
Kerl mit dem Holz in der Steinzeit gelandet ist, kann
er wohl kaum den Ort, wo die Statue dereinst aufgestellt
wird, finden. Abgesehen davon, wird ein Stück
Holz doch sofort entfernt.“
„Nicht, wenn man es tief genug begräbt.“ Dabei
machte er ein Gesicht, als hätte er das Rad neu erfunden.
„Außerdem habe ich dem Holz einen Mikrochip
implantiert, um es leichter orten zu können. Kurzum
es blieb verschollen, also muss es mitsamt dem Probanden
in der Zukunft gelandet sein.“
„Herr Hwakins!“ wollte ich mit einigen Gegenargumenten
beginnen, doch er fiel mir ins Wort.
„Wissen Sie, es ist auch ein Gefühl dabei. Nicht alles
lässt sich zweifelsfrei beweisen, aber als Erfinder
hat man ein Gefühl, ob seine Erfindung brauchbar ist
oder nicht. Zuerst habe ich anorganisches Material,
namentlich alte Möbel und einen Spielzeug-Traktor
versendet. Dann organisches, also einen Hasen und
ein Meerschweinchen samt Käfig und später noch
eine kranke Katze.“
Insgeheim musste ich lachen, als
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